Die neolithische Sternkarte von Tal-Qadi auf Malta
Im National Museum of Archaeology in Valletta, Malta, liegt in Vitrine 21 eine etwa postkartengrosse, 2 cm dicke Kalksteinplatte mit eingeritzten Geraden, Sternen und einer etwa halbmondförmigen Figur (Abb. 1). Die Platte ist im Museumsführer[1] abgebildet. Die dazugehörige Schrifttafel in der Vitrine erläutert: »Broken globegerina limestone slab which shows five sections separated with incised lines. Four of these sections have star-like incisions whereas the middle one has a semi circular incision which could represent the moon. Provenance Tal-Qadi«.[2]
Die Platte[3] wurde auf dem Gelände des Tempels Tal-Qadi gefunden. Diese Grabungsstelle liegt etwa 0,5 km südlich von Bugibba an der Straße nach Burmarrad (Triq Burmarrad). Der in der Zeit 3300 – 3000 v. Chr. erbaute Tempel war bis zum Ende der Tarxien-Phase (2500 v. Chr.) von Bedeutung. Das sehr schlecht erhaltene Bauwerk wurde 1927 von Th. Zammit und L. Upton Way ausgegraben. J. von Freeden[4] veröffentlichte einen Steinplan des Befundes, der einige, jedoch wesentliche Details erkennen lässt (Abb. 2). Es liegt auf der Hand, dass die Steinplatte wegen der allgemein schlechten Datierungsmöglichkeiten der Tempel nur sehr grob etwa in das 3. vorchristliche Jahrtausend datiert werden kann.
Zu sehen ist der Torbau im Westen, dem sich ein innerer Torbau im Osten anschließt. Ganz links ist ein kleiner Teil der den Tempel umhüllenden Wand, des Mantels, zu erkennen. Nach von Freeden ist wegen der Existenz einer zweiten Türanlage und der Linienführung der Mantelsteine mit einem zweiten Quertrakt zu rechnen; für den Kopfbereich liegen keine Hinweise vor, höchstens einige Spoliensteine. Die Hauptachse des Tempels ist W-O – orientiert.
Mit der Kenntnis anderer, wesentlich besser erhaltener Tempelanlagen lässt sich dieser rudimentäre Grundriss besser verstehen. Abbildung 3 zeigt den Steinplan des Tempels von Mnajdra nach von Freeden[5].
Die Anlage besteht aus zwei Tempeln und einem kleinen Kultgebäude, das hier außer Betracht bleiben kann. Der Nordtempel besitzt zwei Quertrakte, einen Kopf und vor seiner Front eine Terrasse, die aber eine moderne Rekonstruktion – wohl in Anlehnung an eine Geländestufe - darstellt. Der Nordtempel liegt auf einer höheren Ebene als der Südtempel. Nach Zammit[6] lag bei der Ausgrabung vor dem Nordtempel ein riesiger Schutthaufen.
Nord- und Südtempel bilden zusammen mit dem Kultgebäude eine konkave Front, die den wohl als Kultplatz dienenden Vorplatz wie mit geöffneten Armen umschließt. Abbildung 4 zeigt den Nordtempel in seiner heutigen Gestalt unter einem Schutzzelt. Die heutige Terrasse ist deutlich zu erkennen.
Diese leider nur recht dürftigen Vorkenntnisse erlauben aber doch wesentliche Gedanken zur Deutung der eingangs gezeigten Kalkplatte (Abb. 1). Die etwa halbmondförmig geritzte Figur im mittleren Sektor bildet hiernach den Schlüssel zum Verständnis. Sie stellt keinen Halbmond dar, sondern die konkave Tempelfront des Tempels Tal-Qadi. Der gerade Strich vor ihr stellt die Grenze des vorgelagerten Kultplatzes dar, vielleicht auch eine Geländestufe oder eine Terrasse. Da die Tempelfront dem Steinplan (Abb. 2) zufolge genau nach Westen zeigt, kann man vom Ausgangspunkt der vier die Sektoren abteilenden Geraden aus die West-Ost-Orientierung der gesamten Zeichnung vornehmen. Die übrigen auf der Platte eingeritzten sternförmigen Zeichen werden als Sterne interpretiert, die am Himmel in West-Ost-Richtung zu sehen sind. Weiterhin ist anzunehmen, dass diese Zeichen auf der Platte in bestimmten Gruppierungen, die unseren Sternzeichen entsprechen, angeordnet sind. Es ist anhand von heutigen Sternkarten zu untersuchen, welche Sternzeichen gemeint sein können.
Hierbei ist natürlich zu berücksichtigen, dass sich die Form der Sternzeichen im Laufe einiger Jahrtausende zwar nicht merklich verändert hat (dies erfolgt sehr langsam durch die Eigenbewegung der Sterne und wäre erst nach etwa 10 000 Jahren deutlich zu sehen), die Zusammenfassung einzelner Sterne zu gewissen Gruppierungen (Sternzeichen) jedoch vor einigen Jahrtausenden durchaus anders gewesen sein kann. Die Bezeichnungen dieser Zeichen in damaliger Zeit sind uns natürlich nicht bekannt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die beobachtenden Neolithiker kein Fernglas besaßen, nur auf ihre sicherlich sehr guten Augen angewiesen waren. Sie werden trotzdem nur die helleren Sterne gesehen haben.
Abbildung 5 zeigt eine Skizze der Steinplatte, in der die einzelnen Sterne der besseren Erkennbarkeit halber als Kreise wiedergegeben sind. Die verbindenden Linien wurden mit einer gewissen Vorahnung und der Kenntnis der in Frage kommenden Sternzeichen angebracht. Der Vergleich mit modernen Sternkarten[7] (Abb. 6) ermöglichte die Benennung der verschiedenen Sternbilder.
Die folgenden Deutungen stützen sich auf die Ansicht des Himmels über Bugibba in west-östlicher Richtung im Januar des Jahres -2500[8] mit Hilfe des Rechnerprogramms »Stellarium«, wie es auch Planetarien verwenden (Abb. 7).[9] Da die geographischen Koordinaten für Tal-Qadi nicht bekannt waren, wurden die für das nahe gelegene Bugibba eingegeben: 35° 56' 57? N; 14° 24' 42″ E; H angenommen zu 30m ü MSL. Die Abweichungen sind minimal und unerheblich. Die Sternbilder Stier mit Plejaden und Perseus erscheinen in der gleichen Reihenfolge von links (N) nach rechts (S) wie auf der Kalkplatte.
Im Einzelnen ist dazu zu sagen: Der auf der Kalkplatte einzeln, ganz links stehende Stern dürfte Sirius (α CMa) im Sternbild Großer Hund, Rigel (ß Ori) oder Beteigeuze[10]0 (α Ori), beide im Sternbild Orion, darstellen; diese drei Sterne sind sehr hell und auffällig und in Abbildung 7 links vom Sternbild Stier zu sehen. Für eine genaue Identifizierung fehlt ein genügend deutlicher Anhaltspunkt. Die sich rechts anschließende Formation deutet auf den V-förmigen Teil des Sternzeichens Stier. Im mittleren Sektor erscheint ein Zeichen, das bisher als Halbmond identifiziert wurde. Die Darstellung erscheint dem Autor dafür zu schlecht; er erkennt darin die Tempelfront des Tempels Tal-Qadi, wo die Steinplatte gefunden wurde. Da die Hauptachse des dahinter zu denkenden Tempels etwa senkrecht auf der Tempelfront und diese dem Steinplan (Abb. 2) zufolge im Westen steht, ist durch diese Zeichnung die West-Ost-Orientierung der Steinplatte gegeben.
Im nächsten Sektor ist das Sternbild der Plejaden zu erkennen. Lediglich die Anordnung des »untersten« Sterns (Pleione) ist nicht richtig wiedergegeben – vermutlich aus Platzgründen. Der letzte Sektor zeigt schließlich ein Sternbild, das nicht einfach zu identifizieren ist, einmal wegen der an dieser Stelle schlechten Lesbarkeit der Gravuren auf der Steinplatte, zum anderen aber auch, weil die neolithischen Himmelsbeobachter das infrage kommende Sternbild Perseus, hier gezeigt in einer modernen Sternkarte (Abb. 8), offenbar anders sahen als wir. Sie müssen zwei weiter entfernte, aber recht helle Sterne, nämlich γ And (Stern Almaak aus dem Sternbild Andromeda) und β Tri (aus dem Sternbild Triangulum), zu dem Sternbild Perseus gezählt haben, so dass dieses etwas anders als uns heute geläufig aussieht.
Die zur Verfügung stehende Abbildung der Platte ist nicht optimal. Die weiteren erkennbaren Zeichen (Striche) sollen vielleicht andere, kleine Sterne andeuten; sie sind nicht zu erklären. Das im vorliegenden Zusammenhang wichtigste Sternbild ist sicherlich das der Plejaden. Abbildung 9 zeigt diese schöne, charakteristische Formation mit ihren blauen Schleiern, die auf das von Nebeln in ihrem Umfeld reflektierte Licht zurückgehen. Die Namen der wichtigsten Sterne dieses Bildes sind, geordnet nach ihrer Größenklasse (Helligkeit)[11], in der Skizze (Abb. 10) wiedergegeben.
Diese neun Sterne sind unter günstigen Bedingungen mit dem bloßen Auge zu erkennen. Pleione ist – wie schon erwähnt - auf der Kalkplatte nicht in der richtigen Orientierung zu Atlas dargestellt, der Grund liegt wohl in den Platzverhältnissen.
Es erhebt sich die Frage nach dem Sinn dieser neolithischen Sternkarte. Der Autor vermutet, dass es sich um eine Anleitung zum Auffinden des Sternbildes der Plejaden am Himmel handelt, vielleicht als Schulungsgrundlage für den Priesternachwuchs, wie wir heute sagen würden. Es ist bekannt, dass die Plejaden in vielen Kulturen der nördlichen Hemisphäre als Basis für einen landwirtschaftlichen Kalender dienten. Schlosser führte anlässlich seiner Bearbeitung der Bronzescheibe von Nebra Berechnungen für die Zeit um 1600 v. Chr. und den Fundort bei Nebra durch.[12] Die Plejaden sind nur im Winter sichtbar, also in der Zeit der Vegetationspause. Wenn sie erscheinen, ist Herbstbeginn, also Erntezeit, wenn sie verschwinden, beginnt der Frühling, die Vegetationsphase, die Saat muss ausgebracht werden. Die Kalkplatte vermittelt einen beeindruckenden, erstaunlichen Eindruck von den astronomischen Kenntnissen der Neolithiker und ihrer Fähigkeit, die Bilder auch zu dokumentieren.
Schlußbemerkung
Diese Publikation entstand im Anschluss an eine Arbeit über ein keltisches Schwert, das die tauschierte Gravur der Plejaden zeigt (s. Archäologie Online - Fundpunkt). Dadurch war der Autor mit dem Aussehen des Sternbildes der Plejaden so vertraut, dass er während eines Besuches im Nationalmuseum für Archäologie in Valletta, Malta diese sofort auf der dort ausgestellten Kalkplatte erkannte.
Der Autor geriet damit unversehens noch tiefer in eine Fragestellung hinein, für deren vollständige Bearbeitung er – ihm selbst bewusst – als Archäochemiker nicht die erforderliche Ausbildung besitzt. Er bemühte sich um die Zusammenarbeit mit Astronomen – vergeblich. Das Höchste, was man ihm anbot, war der Hinweis auf das Stellarium-Programm mit dem Hinweis, er möge da selbst hineinschauen – was er dann auch notgedrungen tat. Es war ihm bis jetzt nicht möglich, einen Astronomen oder einen astronomisch interessierten Archäologen für die Zusammenarbeit zu gewinnen. Dieser Tiefstand interdisziplinärer Zusammenarbeit zeigt, dass die Entwicklung der Archäoastronomie noch sehr in den Kinderschuhen steckt. Die Archäoastronomie ist nicht auf die Betrachtung von Sonnenständen und Steinkreisen beschränkt.
Der Autor veröffentlicht die vorliegende Arbeit daher gegen den Rat vieler Archäologen und Astronomen auch mit dem Ziel, eine Schwachstelle der Archäometrie bewusst zu machen. Er hat die Hoffnung, dass sich wenigstens ein an der Zusammenarbeit interessierter Astronom oder Archäologe findet.
Fussnoten
Sharon Sultana, The National Museum of Archaeology Valletta. The Neolithic Period (Sta. Venera, Malta 2010) 31. ↩
Übersetzt: »Zerbrochene Platte aus globigerinem Kalkstein, die fünf durch eingeritzte Linien abgeteilte Sektoren zeigt. Vier dieser Abschnitte zeigen sternartige Einritzungen, während der mittlere eine halbkreisförmige Einritzung zeigt, die den Mond darstellen könnte. Fundort Tal-Qadi.« ↩
Es handelt sich um den für Malta typischen, relativ weichen globigerinen Kalkstein, der aus den Kalk-Kieselsäure-Gehäusen von Globigeriniden, Einzellern aus der Gruppe der Foraminiferen, besteht. ↩
Joachim von Freeden, Malta und die Baukunst seiner Megalith-Tempel (Darmstadt 1993) 221. ↩
Wie Anm. 4, S. 272. ↩
Themistokles Zammit, Die Prähistorischen Tempel von Malta und Gozo (Malta 1998), 49-62. ↩
Jan Ridpath, Will Tirion, Der Kosmos Himmelsführer (Stuttgart 2004), 236-240; 202-204. ↩
Die astronomische und die christliche (historische) Zeitskala unterscheiden sich im vorchristlichen Bereich um 1 Jahr: die historische Zeitrechnung kennt nicht das Jahr 0 im Gegensatz zur astronomischen. Das Jahr a vor Chr. entspricht daher dem astronomischen Jahr -(a-1). Die genaue Angabe des Tagesdatums täuscht. Sie erfolgt durch das Programm für die damalige Zeit auf der Grundlage des heutigen Kalenders. - Für die Beurteilung des Ereignisses ist dieser Unterschied jedoch unerheblich. ↩
Stellarium ist ein freies interaktives Astronomie-Programm unter GNU General Public License für die Darstellung stellarer Konfigurationen. Es kann unter diesem Namen aus dem Internet heruntergeladen werden. Projektleiter ist Fabien Chéreau, der das Programm zusammen mit der Stellarium Community bearbeitet. Verwendet wurde die Version 0.11.4. ↩
Es gibt verschiedene Schreibweisen: Beteigeuze oder Betelgeuse ↩
Wie Anmerkung 7, S. 239 ↩
W. Schlosser, Die Himmelsscheibe von Nebra – Astronomische Untersuchungen, in: H. Meller (Hrsg.), Der geschmiedete Himmel (Stuttgart 2004) 44-47. ↩