Fundsache Homo erectus
Ein phallusförmiges Gerät vom Lehberg, Gemeinde Haidershofen, Niederösterreich
Der sonderbar geformte Naturstein zieht den Betrachter sofort in seinen Bann. Erste Zweifel, ob es sich dabei ausschließlich um ein Spiel der Natur handelt, schwinden rasch, denn an den entscheidenden Stellen ist das Artefakt von »Menschenhand« geformt.
Dennoch ist es zunächst nur ein interessantes Quarzitgeröll aus den Günz-Schottern, der ersten sicher nachweisbaren Eiszeit im alpinen Raum. Die Ablagerungen dieser Kaltzeit, die vor rund 600.000 Jahren zu Ende ging, werden als »Ältere Deckenschotter« definiert.
Der Artefaktcharakter
Die quer zur Längsrichtung des Gerölles verlaufende, helle Quarzader schnürt den gut gerundeten Quarzit im oberen Drittel gleichsam ab und bildet einen rundum verlaufenden Wulst. Allem Anschein nach ist bereits unterhalb der Quarzader manipuliert worden, um den Ring besser herauszuheben. Zumindest finden sich dort an einigen Stellen feine Kratz- und Pickspuren. Möchte man diese Spuren noch kritisch betrachten, ist dann oberhalb des Quarzringes kein Irrtum mehr möglich.
An der Spitze finden sich eindeutige Pickspuren, die bereits wieder verrundet und patiniert sind und den Effekt der Oberfläche einer Orangenschale hervorrufen. Beide Längsseiten sind zudem geschliffen und poliert. Besonders deutlich sieht man die helle Kante auf der linken Seite des phallusförmigen Gerätes (Bild 2 Vorderseite; Bild 3a/b hintere Kante). Hier handelt es sich nach der mikroskopischen Untersuchung nicht um eine der Quarzadern im Gestein, sondern um einen Schliff, der die Quarze und die quarzitische Matrix in einer Richtung schneidet.
Es ist unmöglich, dass die partiell dicht an dicht liegenden und unterschiedlichen Bearbeitungsspuren durch Wind, Wasser, Gletscher oder einen Verwitterungsprozess entstanden sein könnten. Zudem finden sie sich im Wesentlichen nur oberhalb des Quarzringes und nicht unterhalb am Schaft. Diese Art von Veränderungen der natürlichen Gesteinsoberfläche können nur intentionell erzeugt oder durch die längerfristige Benützung des Steines als Arbeitsgerät entstanden sein. Obgleich in den Quarziten Eiseneinlagerungen in natürlicher Form vorkommen, die als Verwitterungsprodukt in Form von Rost an der Oberfläche der Gerölle in Erscheinung treten, zeigt vor allem die Kuppe des Steines unnatürliche Rötelspuren, die auf einen künstlich erzeugten Auftrag mit der eisenhaltigen Naturfarbe hindeuten (Bild 3a).
Ein erster Datierungsansatz
Den ersten Hinweis auf eine mögliche Datierung gab bereits im letzten Jahr ein grob gearbeiteter Faustkeil (s. A. Binsteiner, Homo erectus am Alpenrand?), der zweifellos der Zeitstufe des Acheuléen zugeordnet werden kann. Nach der Rekonstruktion der Fundumstände in diesem Frühjahr steht fest, dass das Stück aus einer Rotlehmschicht stammt, die direkt der Oberkante der Günz-Schotter aufliegt.
Auch an der Fundstelle des phallusförmigen Gerätes in rund 120 Meter Entfernung tritt diese markante Schicht heute am flachen Hang an der Oberfläche zutage. Zahlreiche Bohrungen an den beiden Fundstellen, die auf gleichem stratigrafischem Niveau in rund 365 m NN durchgeführt wurden, zeigen eindeutig die geologischen Verhältnisse an. Direkt auf den Günz-Schottern liegt eine stark eisen- und tonhaltige Rotlehmschicht, die nur geringmächtig von einer humosen, am Hang abgeschwemmten Lage aus Lösslehmen überdeckt wird, sodass auf den umgeackerten Anbauflächen die rostfarbenen Lehme deutlich in Erscheinung treten (Bild 5, Seite 2). Das Ende der Günz-Eiszeit und der Ablagerung der fluvioglazialen Schotter wird übereinstimmend bei rund 600.000 Jahren vor heute angesetzt. Die Lehmschicht auf der Oberfläche der Günz-Schotter fällt in eine Warmzeit nach dem Ende der Günz-Kaltzeit, liegt also zwischen 500.000 und 600.000 Jahre vor heute. Sowohl die Typologie des Faustkeiles als auch die geologischen Verhältnisse an der Fundstelle auf dem Lehberg sprechen für diesen frühen Datierungsansatz. Demnach muss auch dieses phallusförmige Gerät in diesem Zeitraum hergestellt und abgelagert worden sein. Als Erzeuger beider Artefakte, Faustkeil und Gerät, kommt nur der Homo erectus in Frage.
Interpretation
Die Bearbeitungs- und Rötelspuren an der Kuppe des Quarzites lassen eine Deutung als Reibstein oder Stößel zum Zerkleinern und Zerreiben von Substanzen zu. In Frage kämen zum Beispiel die ziegelroten bis ockerfarbenen Rotlehme auf dem Lehberg, die in getrockneter Form der Konsistenz und Qualität von Rötel sehr nahe kommen.
Vielleicht fand sich auch ein reines Rötelvorkommen am Ufer der mittelpleistozänen Enns. In Verbindung mit Speichel oder Wasser könnte daraus eine rote Naturfarbe für die Körperbemalung hergestellt worden sein. Obgleich Annahmen dieser Art natürlich immer auch spekulativ sind, scheint der Zusammenhang der Fundumstände des Gerätes mit den geologischen Lagerungsverhältnissen doch gegeben zu sein. Zudem sind die Arbeits- bzw. Bearbeitungsspuren auf dem Quarzit zweifelsfrei zu identifizieren.
Es ist weiterhin anzunehmen, dass dem Benützer diese doch unübersehbare Phallusform nicht verborgen geblieben sein dürfte. Ob er sie allerdings bewusst gewählt oder gar erzeugt hat, bleibt der Phantasie des Einzelnen überlassen.
Post Scriptum - die Reibschale
Während der »Drucklegung« dieses Beitrages fand sich bei einer weiteren Geländebegehung an der gleichen Fundstelle das passende Gegenstück. Es stammt ebenfalls direkt aus der Rotlehm-Schicht der Cromer Warmzeit und wurde bereits vergangene Woche bei strömendem Regen ausgespült. Demnach handelt es sich tatsächlich um einen zweiteiligen Farbmörser aus Reibschale und Stößel. Ohne jeden Zweifel passen die Schliffkanten auf dem Stößel und die Rillen im Mörser zueinander. Deutlich zu erkennen sind auch die entsprechenden Farbspuren.
Während der Stößel tief patiniert und abgegriffen ist, zeigt die Reibschale vor allem auf der Rückseite noch weitgehend die natürliche Gesteinsoberfläche. Es handelt sich ebenfalls um einen Quarzit, der durch die Auswirkungen eines warmen und feuchten Klimas gleichsam an der Oberfläche »verrostet« ist, d.h. das Eisen wurde durch die klimatischen Einflüsse aufoxydiert. Der Stein lag also über eine längeren Zeitraum an der Landoberfläche auf der Schotterterrasse, welche die Günz-Eiszeit hinterlassen hat, und wurde dort aufgesammelt.
Das kann aber nur während der Warmphase erfolgt sein, die ab 600.000 vor heute unmittelbar auf diese erste sicher nachweisbare Eiszeit des Alpenraumes ansetzt. Danach lagen diese Schichten wieder über Jahrhunderttausende unter den verschiedenen Überdeckungen der nachfolgenden drei Eiszeiten Mindel, Riss und Würm. Erst durch die Rodung und Bewirtschaftung der Flächen in der Neuzeit wurden diese Schichten wieder freigelegt. Das bedeutet, dass der einzige Menschentyp, der diese ursprüngliche Landoberfläche zwischen 600.000 und 500.000 Jahren vor heute betreten hat und diesen Farbmörser hergestellt und auch benützt hat, der Homo erectus gewesen sein muss.
Literaturauswahl
- A. Binsteiner, Rätsel der Steinzeit zwischen Donau und Alpen. Linzer Archäologische Forschungen 41, Linz 2011.
- A. Binsteiner – Erwin M. Ruprechtsberger, Das Donau-Enns Paläolithikum. Linzer Archäologische Forschungen Sh. 45, Linz 2011.
- A. Binsteiner - Erwin M. Ruprechtsberger, Von der Alt- zur Jungsteinzeit. Die Berglitzl bei Gusen im Spannungsfeld der Forschung. Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 29, Linz 2011.
- H. Kohl, Das Eiszeitalter in Oberösterreich, Abriss einer Quartärgeologie von Oberösterreich. Schriftenreihe OÖMusVer. 17, Linz 2000.
- Geologische Bundesanstalt (Hrsg.), Geologie der österreichischen Bundesländer. Niederösterreich. Geologische Karte 1:200.000., Wien 2002.
- G. Wessely, Geologie der österreichischen Bundesländer, Niederösterreich. Geologische Bundesanstalt, Wien 2006, 235-252.