Uferrandbefestigung und Schiffselemente
Neue Erkenntnisse zur frühmittelalterlichen Burg von Groß Thun
Im Anschluss an die archäologischen Ausgrabungen 2005 und 2006 auf der frühmittelalterlichen Wallanlage „Schwedenschanze“ in Groß Thun wurden die Untersuchungen im Sommer 2007 fortgesetzt. Dies erfolgte im Rahmen einer Lehrgrabung der Universität Hamburg und mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft Archäologie des Stader Geschichts- und Heimatvereins.
Ziel der Grabungskampagne war die Klärung des Wallaufbaus und der Innenbebauung in ausgewählten Teilbereichen. Dazu wurde der Wallschnitt des Vorjahres wieder freigelegt und auf vier Meter verbreitert. Zusätzlich wurde ein Schnitt im Bereich der etwa 45 m langen Lücke der Wallanlage an der Schwingeseite angelegt. Weitere Schnitte erfolgten im ehemaligen Torbereich und den dort angrenzenden Flächen.
Der Wallschnitt
Bei der Erweiterung des Wallschnittes an der Schwingeseite von zwei auf vier Meter zeigte sich, dass die exzellent erhaltenen Holzbefunde wesentlich komplexeren Baustrukturen angehören, als dies im Vorjahr erkennbar war.
Die Innenkonstruktion des Walls bilden die bereits 2006 aufgedeckten Holzlagen. Der Wall zeigt keine eigentliche Kastenkonstruktion. Die einzigartige Konstruktionsweise soll kurz erläutert werden: Ein Paket geschichteter Hölzer besteht aus einigen Lagen sehr dünner Bretter, die rechtwinklig zum Wallverlauf gelegt sind und schräg von außen zum Innenbereich des Walls ansteigen. Hier sind diese durch eine parallel dem Wallverlauf folgende Bretterlage mit dem dahinter geschichtet liegenden Holzpaket zu einer konstruktiven Einheit verbunden. Die Innenseite des Walls wird parallel von einer mehrlagigen Steinsetzung aus größeren Granitsteinen begleitet. Die Holzlagen bilden in der östlichen Wallhälfte einen Versturzbereich, der durch teilweise massive, ungeordnet liegende Holzbalken und –bretter gekennzeichnet ist.
Bemerkenswert ist bei den Holzkonstruktionen des Walls die häufige Verwendung sekundär verbauter Hölzer. Im Wallkern findet sich eine größere Anzahl von angebohrten Holzbrettern. Erstaunlicherweise sind alle Bretter nur angebohrt, keine der Bohrungen ist durchgängig. Viele Bretter weisen zudem Sägespuren in regelmäßigen Abständen auf. Eventuell handelt es sich bei einzelnen gebogenen Hölzern um Schiffsteile in fragmentarisch ausgefertigtem Zustand oder sekundär verwendete Bauhölzer.
Im Wallbereich wurden die ersten von diesem Fundplatz bekannten Holznägel gefunden. Diese sind aber offenbar ebenfalls sekundär eingebracht wurden, da sie in keinem Konstruktionszusammenhang aufgefunden wurden. Eine genaue Auswertung der entnommenen Hölzer kann erst nach deren Konservierung möglich sein.
Eine wichtige Frage konnte durch die Grabung 2007 beantwortet werden. Die etwa 45 m breite Lücke im südwestlichen Teil der Wallanlage war zur Nutzungszeit der Burg keineswegs offen sondern geschlossen. Es konnten Reste der Wallkonstruktion, die vergleichbare konstruktive Elemente wie der Wallschnitt ergaben, nachgewiesen werden. Wann diese Lücke entstanden ist, lässt sich noch nicht eindeutig bestimmen. Auf der ersten kartographischen Darstellung der Burg, der Kurhannoverschen Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts, ist diese Lücke schon erkennbar. Der Schichtaufbau vor diesen Strukturen zeigt, dass die Schwinge zur Nutzungszeit bis an den Wall heranreichte.
Den Abschluss des Walls bildet eine Palisade aus leicht schrägen massiven Hölzern. Sämtliche der sieben rechteckigen aufgefunden Hölzer mit den durchschnittlichen Maßen von 0,7 x 0,4 m waren innen ausgehöhlt. Diesem Befund war im oberen Bereich ein horizontal verlaufender Balken zur Stabilisierung vorgelegt. Schräg über diesen ausgehöhlten Eichenbohlen fand sich eine Wallverkleidung aus oberflächlich sehr unregelmäßig geformten Raseneisenerzplatten. Dieser Befund konnte auf einer Länge von 1,60 m aufgenommen werden, seine Breite lag zwischen 0,35 m und 0,5 m.
Hinter der Palisade fanden sich zum Wall hin parallel zum Wallverlauf geschichtet liegende Hölzer (Bretter, Bohlen, Äste), welche das Fundament des äußeren Wallfußes bildeten.
Die Uferrandbefestigung
Trotz des zum Zeitpunkt der Ausgrabung hohen Wasserstandes der in unmittelbarer Wallnähe fließenden Schwinge war es möglich, die Strukturen vor dem Wall schwingeseitig zu dokumentieren. Dort wurde auf einer Länge von vier Metern eine Uferrandbefestigung aus senkrecht eingeschlagenen, unten angespitzten Kanthölzern ergraben. Diese gut erhaltenen Hölzer sind durch den Erddruck mittlerweile in Richtung Schwinge verschoben. An der nördlichen Grabungskante konnte nachgewiesen werden, dass die Oberkante dieser Konstruktion durch einen horizontal liegenden Balken gesichert war. Die Holzbohlen sind angespitzt und 1,5 bis 1,7 m lang, sie befinden sich allesamt derzeit in der Nassholzkonservierung.
Direkt hinter dieser Uferrandbefestigung schließt sich zum Wall hin eine weitgehend ebene Fläche an. Dieser Abschnitt zwischen Wall und Schwinge weist eine Breite von 2,20 m bis 2,50 m auf. Er besteht aus übereinander gelegten Holzbrettern und –bohlen. Bei dieser Konstruktion wurden sekundär verbaute Schiffsbauteile verwendet. Insgesamt wurden weit über 30 Hölzer in diesem Bereich verbaut, darunter auch die gesägten Spanten und ein Knieholm eines Schiffes. Ob es sich um die Hölzer eines oder mehrerer Schiffe handelt, kann erst nach weitergehender wissenschaftlicher Auswertung bestimmt werden. Diese Hölzer sind nicht einfach auf die alte Oberfläche gelegt, sondern weisen eine massive Fundamentierung durch tiefgründig verbaute Eichenbohlen auf. Die Struktur dieser Konstruktionen zeigt die idealisierte Zeichnung.
Ob es sich bei der beschriebenen Konstruktion (Uferrandbefestigung und waagrechter Lauffläche) um eine Schiffsanlegestelle handelt, kann nach den bisherigen Ergebnissen noch nicht abschließend beurteilt werden. Es ist durch das Grabungsprofil gesichert, dass diese Konstruktion ursprünglich nicht vom Wall überdeckt worden ist. Diese Konstruktion kann folglich eindeutig nicht dem Burgwall zugeordnet werden.
Der homogen mit Flusssediment aufgefüllte Bereich zwischen der beschriebenen Uferrandbefestigung und dem heutigen Schwingeverlauf konnte in einem kleineren Ausschnitt dokumentiert werden. Der Sedimentaufbau zeigt, dass die Schwinge ursprünglich bis an die Uferrandbefestigung heranreichte. Der heutige Verlauf der Schwinge entspricht folglich nicht dem Lauf der Schwinge im Frühmittelalter.
Bemerkenswert ist der Fund eines hölzernes Steuerruders aus diesem Bereich. Das Ruder weist eine Länge von 1,30 m Länge auf und wurde in das Flusssediment eingeschwemmt. Eventuell ist in diesem Bereich noch mit weiteren Schiffsbauelementen zu rechnen, weitere Details können allerdings nur nachfolgende Untersuchungen erbringen.
Die Innenfläche
Im Innenbereich der Wallanlage zeigten sich analog den Grabungsergebnissen von 2006 wiederum dichte Besiedlungsspuren. Lediglich in einem Schnitt nahe des vermuteten Torbereiches ließen sich keine Befunde lokalisieren. Die Befunde in den anderen Schnitten umfassen Siedlungsgruben, Pfostengruben und Feuerstellen. Leider war mit den ausgegrabenen Pfostengruben kein Hausgrundriss zu rekonstruieren.
In Schnitt 4 konnten die Reste eines U-förmigen Ofens dokumentiert werden, ein diesem Schnitt konnte ebenfalls eine ovale, unregelmäßige Grube (Bef. 148) aufgenommen werden. In dieser Grube fanden sich neben frühmittelalterlicher Keramik auch Keramik mit Glasschlacke und eines tönernen Gusstiegels. Das Fundstück legt die lokale Verarbeitung von Bunt- oder Edelmetall nahe und untermauert die Annahme, dass im Innenbereich der „Schwedenschanze“ ehemals ein handwerkliches Areal existiert hat.
Das Fundmaterial
Das Fundmaterial wies vor allem Keramikscherben und Metallfragmente auf. Neben neuzeitlicher Keramik, die sich in Porzellan und glasierte Irdenware unterteilen lässt, konnten diverse frühmittelalterliche Keramikscherben aus den Befunden geborgen werden. Nach den Randformen und der Verzierung ist diese Gefäßkeramik dem frühen Mittealter, sprich dem 7. bis 9. Jh. zuzuordnen.
Die Metallfunde bestanden hauptsächlich aus neuzeitlichen Eisenfragmenten und einigen Münzen des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine der Gruben enthielt in ihrer Verfüllung einen bronzenen Ring, der wahrscheinlich in das Frühmittelalter datiert werden kann. Weitere Funde aus Buntmetall waren u.a. ein bronzener Beschlag, der funktional aber nicht weiter angesprochen werden kann.
Aufbau
Im Hinblick auf die 2007 zur Datierung entnommenen Hölzer bleibt abzuwarten, ob die bisherigen dendrochronologischen Ergebnisse (die älteste Datierung stammt aus dem Winter 673/674 n. Chr., das jüngste Datum um/nach 809 n. Chr.) untermauert werden. Insgesamt wird der konstruktive Aufbau des Walls, dessen Anfänge nach bisherigen Ergebnissen in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts gehören, deutlich klarer. Damit wäre die „Schwedenschanze“ die älteste mittelalterliche Burg zwischen Rhein und Elbe und hat damit auch überregional wichtige Bedeutung.
Dennoch bleiben Fragen offen, die es in künftigen Ausgrabungen zu klären gilt. So muss durch weitere Schnitte untersucht werden, ob es sich bei der 2007 dokumentierten Uferrandbefestigung tatsächlich um eine Schiffslände handelt. Ebenso werfen die podestartigen Erweiterungen des Walles im Norden und Nordosten der Anlage ungeklärte Fragen auf.
Zur weiteren Beurteilung dieses wichtigen Platzes ist eine Erforschung des Umlandes notwendig. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Anlage von Groß Thun fast mittig zwischen den völkerwanderungszeitlichen Gräberfeldern von Perlberg und Groß Thun liegt. Nach derzeitigem Forschungsstand reicht die Belegung dieser Bestattungsplätze höchstens bis 500/550 n. Chr. Hier ist eine Materialdurchsicht, vor allem des großen Bestandes der Urnen aus den Grabungen des Landesmuseums Hannover (J. Deichmüller), wichtig. Eventuell lässt sich auch eine jüngere Belegung des Bestattungsplatzes nachweisen.
Annähernd zeitgleich ist der Fundplatz Stade 1086 auf dem „Hohenwedel“. 1961 konnten dort bei Bauarbeiten Spatha, Sax sowie eine Lanzenspitze geborgen werden. Leider existiert von diesem Fundplatz keine Dokumentation der Befundumstände, Sondierungen im Vorfeld von Baumaßnahmen im direkten Umfeld im Sommer 2007 durch D. Alsdorf (Kreisarchäologie Stade) blieben ohne archäologisches Ergebnis.
Auch im näheren Umfeld der „Schwedenschanze“ finden sich Hinweise auf ehemalige Bestattungsplätze. Leider ist die beim Bau eines Hauses in den 1920er Jahren geborgene Urne 1945 bei einem Feuer im Wohnzimmerschrank der Familie Winter vernichtet worden. Es liegt lediglich eine nachträgliche Skizze von Herrn E. Winter vor, die keine genauen Rückschlüsse auf eine Datierung zulässt.
Verdachtsflächen für einen späteren Bestattungsplatz sind die an einer alten Kiesgrube gelegenen vermutlich bronzezeitlichen Grabhügel. Frühmittelalterliche Friedhöfe wurden häufig an den „Hügeln der Heiden“ angelegt.
In einer Entfernung von knapp 500 m von der „Schwedenschanze“ konnten im Bereich des Flurstückes „Ohle Dörp“ etliche frühmittelalterliche Scherben aufgelesen werden. Hier könnte sich die frühmittelalterliche Vorburgsiedlung zur Schwedenschanze befunden haben, auffällig ist neben dem Flurnamen auch die topographische Lage auf einem deutlichen Geländesporn an der Schwingeniederung. In diesem Areal sind 2008 Sondierungen des Landesmuseums Hannover durch Dr. Babette Ludowici geplant.
Die genannten Fragen zur Funktion der „Schwedenschanze“ und deren Einbindung in die archäologische Umgebung zur Nutzungszeit können künftig nur durch weitere wissenschaftliche Forschungen beantwortet werden.
Literatur
- Michel, T. und Schäfer, A.: Die frühmittelalterliche Burg von Groß Thun (Stadt Stade). Archäologie in Niedersachsen Bd. 10. Oldenburg 2007, 94-97.
- Michel, T. und Schäfer, A.: Der Burgwall der Altsachsen in Groß Thun. Archäologie in Deutschland. Heft 1/2007, 47f.
- Kleemann, J.: Sachsen und Friesen im 8. und 9. Jahrhundert. Veröffentlichungen der urgeschichtlichen Sammlungen des Landesmuseums zu Hannover Band 50. Oldenburg 2002.