Von Sensationen und Geschichten

Wissenschaft in den Medien

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Archäologie & Gesellschaft

Am 20. Juni 2005 kam die Pressemeldung heraus: „Schrumpelige Menschenhand im Torf“. Einen Tag später ist die Nachricht von der Leiche aus dem Uchter Moor im Kreis Nienburg ganz vorne, auf Seite 1 der „Bild“-Zeitung: 48 Wörter und zwei Fotos umfasst der kleine Artikel. Direkt daneben erfährt der Leser mehr über „die schöne Kehrseite vom Popo-Alarm!“ und billige Flugtickets beim Discounter Penny. An den folgenden Tagen rätselt die Boulevardzeitung, ob das in einer Umfrage auf „Moora“ getaufte Mädchen aus der Eisenzeit vielleicht sterben musste, nachdem sie den jungen Druiden unter der heiligen Eiche verführt hatte.

Der „Spiegel“ hat dem Thema zwei Seiten gewidmet. Zwar erscheint der Artikel ab Seite 122 und nicht auf der 1, dafür ist der Text wesentlich differenzierter. Vielen Archäologen wird trotzdem unwohl sein, wenn sie den Titel lesen: „Sumpf der Vampire“.

Neugier wecken

Ist die Zeit reif für das große Haare raufen? Sind Journalisten allesamt Ignoranten, mit denen zu sprechen vergebliche Liebesmüh ist? Das denken einige Wissenschaftler jedenfalls und wenden sich frustriert von den Medien ab.

Man kann die Fragen auch anders stellen: Sind solche Artikel schlimm für die Archäologie? Schädigen die wilden Spekulationen die Fachdisziplin?

Eines steht fest: Die „Bild“-Zeitung hat ihren Anteil daran gehabt, dass Millionen Menschen von der Moorleiche erfahren haben – gerade auch die, die sich an wissenschaftliche Themen sonst nicht heranwagen. Fundiertes Sachwissen haben sie in erster Linie zwar nicht erworben, aber ganz sicher sind viele neugierig geworden auf das, was Archäologen über die Vergangenheit herauszufinden versuchen. Diese Neugier ist ein kostbares Gut, auch wenn sie beim Querlesen über den „Popo-Alarm“ gewonnen wurde.

Wissenschaft braucht Öffentlichkeit

Museen und wissenschaftliche Institutionen wollen auf ihre Arbeit aufmerksam machen. Denn nur wenn Entscheidungsträger verstehen, woran geforscht wird, können sie bereit sein, das zu unterstützen. Auch ist es geboten, den Steuerzahlern Bericht abzulegen, was mit ihrem Geld geschehen ist. Außerdem hängen Fördermittel immer häufiger davon ab, ob Forscher bereit sind, ihre Arbeit aktiv einer breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen. Massenmedien als Hauptinformationsquelle der Menschen sind deswegen enorm wichtig für die Archäologie.

Das gilt auch auf europäischer Ebene: Im Jahr 2000 wurde die Lissabon-Strategie beschlossen, deren Ziel es ist, die EU zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum weltweit“ zu machen. Die „Wissensgesellschaft“ ist eines der Schlüsselkonzepte dieses Programms: Nicht mehr nur eine kleine Elite verfügt über die kostbare Ressource Wissen, jeder soll daran teilhaben können. Damit werden – so die Hoffnung – intellektuelle Kapazitäten größten Ausmaßes frei.

Natürlich steht die Archäologie weniger im Zentrum dieses Konzepts als beispielsweise die Nanotechnologie. Aber es wäre unklug, die veränderten Zeichen zu ignorieren. Gleichwohl haben viele das noch immer nicht verstanden. Ganze Forschungsbereiche bleiben so vor den Augen der breiten Öffentlichkeit verborgen.

Nah dran am Leben

„Ja aber!“, erwidern die Archäologen, „welcher Journalist interessiert sich denn für unsere Befunde? Die Medien berichten immer über Sensationen aus anderen Ländern. Außerdem: diese hanebüchenen Interpretationen!“

Wie so oft stellt sich die Außensicht anders dar: Archäologische Themen sind bei Journalisten und beim Publikum beliebt. Häufig findet man Archäologie im Regionalen: in örtlichen Zeitungen, in entsprechend ausgerichteten Radiosendungen und Fernsehbeiträgen der Dritten Programme.

Das ist nicht nur in Deutschland so. Deborah Cohen ist Redakteurin bei BBC4. Sie sagt, dass archäologische Themen es relativ leicht haben, in den britischen Medien aufgegriffen zu werden, denn sie sind nah dran am Leben der Menschen. Ihr Hauptgrund, immer wieder solche Beiträge zu produzieren, ist klar: „Archaeology makes good storytelling!“

Der Naturwissenschaftler muss erst das Wesen der RNS-Polymerase oder die Eigenschaften eines Quarks erklären, bevor er zu seiner eigentlichen Forschung kommen darf. Germanisten mühen sich, Journalisten für die linguistische Betrachtung von Fußball zu erwärmen. Riesig ist da der Vorteil, den ein Archäologe hat, der in farbigen Bildern erläutern kann, wie ein Marktplatz 800 Jahre zuvor ausgesehen hat! Geschichten erzählen eben.

Pressearbeit für den schmalen Geldbeutel

Medienarbeit kann sehr aufwändig sein, sie ist aber auch in kleinerem Maßstab leistbar. Geringes Budget und knappes Personal dürfen kein Grund sein, auf die Zusammenarbeit mit Journalisten zu verzichten.

Drei Beispiele: Es kostet kein Geld, auf wissenschaftlichen Fachjargon zu verzichten – damit der Journalist versteht, was gemeint ist, und es korrekt wiedergeben kann. Es erfordert keinen Pressereferenten, um bei der Ausgrabung zehn Bilder mehr zu machen, die nicht die Plana 2, 3 und 4, sondern ein paar Archäologen bei der Arbeit zeigen – pressetaugliche Bilder können den Ausschlag geben, dass Medien über etwas berichten.

Ebenfalls simpel: Dem Journalisten ausdrücklich anbieten, für Rückfragen da zu sein - wer bei Unklarheiten und „dummen“ Fragen Hilfe bekommt, macht weniger faktische Fehler und wird gerne wieder mit dem Wissenschaftler zusammenarbeiten.

Medientraining für Archäologen

Es ist wichtig zu wissen, wie Medien arbeiten. Wer die unterschiedlichen Denkweisen und Zielsetzungen kennt, pflegt einen stressfreieren und erfolgreicheren Umgang mit Journalisten.

Für all die, die mehr erfahren wollen, findet im September 2005 auf der Jahrestagung der European Association of Archaeologists (EAA, http://eaacork.ucc.ie/) ein Medientraining statt. Die Veranstaltung ist speziell für Archäologen konzipiert.

Das Programm folgt dem des erfolgreichen Workshops vom Vorjahr. Damals haben zwölf Teilnehmer wichtige Aspekte der Medienarbeit erlernt: Wie machen Archäologen Journalisten auf ihre Forschung aufmerksam? Wie schreibt man einen guten Pressetext? Wie läuft ein Interview ab? Die Gruppengröße war klein gehalten, um persönliche Betreuung und optimale Lernerfolge zu gewährleisten. Die praktischen Übungen, die fester Bestandteil des ganztägigen Workshops sind, fanden großen Zuspruch bei den Teilnehmern. Einhelliges Urteil: Sie haben nun etwas an der Hand, mit dem sie praktisch arbeiten können.

Vorerfahrung in Pressearbeit ist nicht nötig. Außer der Kongressgebühr fallen für dieses Medientraining keine Kosten an. Die Organisatoren/Trainer sind:

  • Diane Scherzler, Archäologin, Media Advisor Europe for the World Archaeological Congress, langjährige Redakteurin beim Südwestrundfunk.
  • Gerry Wait , Direktor Heritage and Archaeology in einer multidisziplinären Beratungsfirma mit Büros in verschiedenen Ländern.

 

mehr zum Thema

»Die Möglichkeiten nutzen« – Archäologie und Massenmedien von Diane Scherzler (Archäologie Online, 2004)