Qatna - ein Überblick
Spuren kultischer Mahlzeiten und kostbare Grabbeigaben
Über die Entdeckung der einizgartigen Grabanlagen in Qatna (Syrien) und das Keilschriftarchiv haben wir bereits berichtet. Nun haben die Tübinger Altorientalisten in einer Pressekonferenz weitere Details der Entdeckungen dieser Grabungssaison bekannt gegeben, die am 21. und 22.12.2002 mit der Übergabe der Funde an die Museen in Damaskus und Homs beendet wurde.
Die einzigartige Anlage und Ausstattung der Grabkammern aus der Zeit um 1400 v. Chr. stellen ein Novum innerhalb der Archäologie des Alten Orients dar und liefern auf diese Weise überraschende neue Einsichten in den Totenkult altorientalischer Kulturen. Zum ersten Mal lassen sich an Hand dieses Fundes die Bestattungspraktiken von altsyrischen Königen, deren Totenpflege und die damit verbundenen Kulthandlungen in ihrer tatsächlichen, praktischen Ausprägung nachvollziehen. Die Gruftanlagen liefern unter anderem erstmals den eindeutigen Nachweis für die - in der Geschichtsforschung lange Zeit umstrittene - Praktizierung von gemeinsamen kultischen Mahlzeiten zwischen Verstorbenen und Lebenden innerhalb der Grabkammern. Als Gesamtkomplex veranschaulichen die königlichen Grüfte von Qatna auf sehr eindringliche Weise die Konzeptionen der Unterwelt und des Lebens nach dem Tode in den altsyrischen Königtümern.
Die vier unterirdischen Kammern der Gruftanlage sind aus dem Fels herausgeschlagen und liegen (mit ihren Fußboden) circa 12 Meter unter der Oberfläche des Ruinengeländes der ehemaligen Palastanlage von Qatna. Sie waren allesamt unverschüttet, nur von der Felsdecke herabgefallene Steine bedeckten einen Teil des Grabinventars. Zugänglich waren die Felskammern über einen fünf Meter tiefen Vorraum, der mit zwei Königsstatuen ausgestattet und als Ahnenkultraum benutzt war. Der Eingang von hier aus in die erste Felskammer war mit aus dem Palast herabgefallenem Schutt blockiert, war aber ehemals unverschlossen, was zu erkennen gibt, dass die Grüfte früher betretbar waren. Die rechteckige Hauptkammer besaß das Maß von annähernd 7 x 5 Metern und eine lichte Höhe von über zwei Metern. Von hier aus war auf drei Seiten jeweils eine Nebenkammer erreichbar, die durch offene, aus dem Fels herausgeschlagene Türdurchgänge erreichbar waren. Dadurch ergab sich eine kleeblattartige Anordnung der seitlichen Felskammern. Die Wände dieser Kammern waren unverputzt und gaben auf diese Weise den rohen Eindruck einer unterirdischen Felshöhle wieder, die nur durch Fackeln beleuchtet werden konnte, wovon die teilweise rußgeschwärzten Wände und Decken noch zeugen.
In allen vier Kammern wurden große Mengen von Objekten angetroffen, die sowohl Grabbeigaben als auch Reste von kultischen Handlungen darstellen. Die Gruftanlage scheint über einen langen Zeitraum - vielleicht über mehrere Jahrhunderte - benutzt worden zu sein.
Überreste von vielen unterschiedlichen Skeletten fanden sich in den verschiedenen Kammern. Sie ist somit als dynastische Grabanlage des Königshauses von Qatna zu bezeichnen. Die beiden Sarkophage aus Basalt enthielten - neben Keramik-, Alabaster-, Silber- und Goldgefäßen - Knochen von jeweils mehreren Verstorbenen, die offensichtlich nacheinander bestattet worden sind. Dies ist sicher auch der Grund, warum die Sarkophage nicht mit Deckeln versehen waren - es handelte sich um mehrmals benutzbare Sarkophage. Durch die wiederholten Bestattungen lässt sich auch die Vielzahl der Objekte in den Kammern und die auffällige Unordnung innerhalb jeder Kammer erklären. Demgegenüber liegen keine Anzeichen dafür vor, dass die Hethiter die königliche Gruftanlage bei der Plünderung Qatnas um 1340 v. Chr. verwüstet oder geplündert hätten. Die meisten Gegenstände lagen so, wie sie bei der letzten in den Grüften abgehaltenen Kulthandlung vor der Zerstörung Qatnas benutzt und liegen gelassen worden sein mögen. Die ansonsten gründlich vorgehenden hethitischen Eroberer scheinen die tief unter dem Palast von Qatna verborgenen Felskammern übersehen zu haben.
In der Hauptkammer laufen auf zwei Seiten Bänke aus Stein um. Sie dienten mehreren Zwecken: Zum einen waren Gefäße aus Keramik abgestellt, die Nahrungsmittel aufnehmen konnten. Außerdem dienten die Bänke zum Sitzen, zum Beispiel aus Anlass von kultischen Mahlzeiten der Lebenden mit den Verstorbenen. Unter den Bänken fanden sich achtlos fallen gelassene Essensreste in Form von Tierknochen. Anhand von chemischen Analysen konnten die Nahrungsmittel ermittelt werden, die in den Gefäßen als Speiseopfer an die Verstorbenen oder als Bestandteile der tatsächlichen kultischen Mahlzeiten dienten.
Auf dem Boden der Hauptkammer ließen sich Reste von mehreren Holzbahren nachweisen, die als pulvrige braune Ablagerung deutlich nachweisbar waren. Darauf fanden sich einzelne menschliche Knochen, die Reste von Bestattungen, sowie eine Vielzahl von Schmuckgegenständen. Dazu gehören Hunderte von goldenen Perlen unterschiedlichster Form, zum Teil mit feinen Granulationen versehen oder mit Edelsteinen eingelegt. Außerdem runde oder rechteckige Schmuckplaketten aus Gold, auf denen Bilder mit figürlichen Szenen in Relieftechnik aufgebracht sind. Die Bilder zeigen Greifen, Götter, Tiere und das Lebensbaummotiv. Von besonderem Interesse ist eine leicht unterlebensgroße, sehr naturalistische, aus Gold geformte menschliche Hand, die als "Libationsarm" zur Darreichung von Speise- oder Trankopfern in kultischen Zeremonien diente. Ein Köcher aus Gold, der noch zahlreiche bronzene Speerspitzen enthielt, war auf der Außenseite mit figürlichen Reliefs in drei Friesen dekoriert, die Kämpfe zwischen Menschen und Tieren darstellen. Ein kleiner, sehr fein und naturalistisch aus Elfenbein gearbeiteter Löwenkopf besaß die Form einer mit einem Deckel verschließbaren Dose und war wahrscheinlich als Öl- oder Parfümdose benutzbar. Diese Gegenstände stellen Kunstwerke höchster Qualität aus der Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus dar und eröffnen einen neuen Blick auf die Kunst Altsyriens aus einem bisher nahezu unbekannten Kunstzentrum.
Nach den erfolgreichen Ausgrabungen gehen die Wissenschaftler nun an die Auswertungen, die aber wohl auf Grund der Fundmengen einige Jahre in Anspruch nehmen dürften.
(Quelle: Universität Tübingen)