Das Montanrevier Sulzburg
Eine archäologische Quelle zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Bergbaus
Als im März 1997 einige hundert Bergleute in die Bannmeile des deutschen Bundestages eindrangen, kommentierte der Einsatzleiter der Bonner Polizei das Nichteingreifen der Polizeikräfte mitden Worten:“Wenn Bauern und Bergleute kommen, können wir nicht vorgehen wie bei normalen Demonstranten“. Kaum ein Ereignis in unserer jüngeren Geschichte verdeutlicht besser, mit welchem Respekt man dem Berufsstand des Bergmannes begegnet und daß man sogar bereit ist, den Bergleuten eine rechtliche Sonderstellung einzuräumen. Daß es sich dabei um eine sehr moderne Bewertung des Bergbaus handelt, die ironischerweise aus einer Zeit stammt, in der der Beruf des Bergmannes in Deutschland vom Aussterben bedroht ist, und insofern schon verklärende Züge von Industrieromantik aufweist, soll hier lediglich angemerkt werden. Doch wie stellte sich die gesellschaftliche Anerkennung der Bergleute vor der Industrialisierung und dem Zeitalter des Kohlebergbaus in historischer Zeit dar, als Bergbau in erster Linie Erzbergbau bedeutete?
Für die Mitte des 16. Jahrhunderts geben die von Georg Agricola verfassten Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen hierüber indirekt Auskunft. Dort heißt es im ersten Buch: “Viele sind der Meinung, der Bergbau sei etwas Zufälliges und eine schmutzige Tätigkeit und überhaupt ein Geschäft, das nicht sowohl Kunst und Wissenschaft als körperliche Arbeit verlange” bzw.: “Weiter wirft man die Frage auf, ob der Bergbau ein ehrlicher Beruf für anständige Leute oder ob er verächtlich und unehrlich sei.” Agricola, den man als einen frühen Lobbyisten des Bergbaus bezeichnen könnte, führt im Anschluß selbstverständlich den Beweis, daß diese Vorurteile falsch sind. Seine Ausführungen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß seine Zeitgenossen diese Meinung nicht teilten, sondern den Beruf des Bergmannes für einen “unehrlichen” hielten. D.h., daß man die Bergleute in der Nähe der im Spätmittelalter verachteten Berufe, wie z.B. den Abdeckern, den Gerbern, den Badern oder den Kesselflickern, ansiedelte und ihnen somit eher den gesellschaftlichen Status einer Randgruppe zuwies. Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich diese Verhältnisse auch auf ältere Zeiten zurückprojezieren lassen, da für das Mittelalter kaum aufschlußreiche Schriftquellen zur sozialen Stellung von Bergleuten vorliegen. Auch die teilweise hervorragenden mittelalterlichen Zeugnisse bergbaulicher Kunst, wie z.B. die Bergbaufenster im Freiburger Münster, geben hierzu keine klare Auskunft, da diese in erster Linie das hohe gesellschaftliche Ansehen der Bergwerksbetreiber und nicht das der einfachen Bergleute dokumentieren. Einen Zugang zu diesen fernen Lebenswelten bietet jedoch die Archäologie. Sie kann die Sachkultur dieser Menschen (z.B.: Werkzeuge, Kleidungsbestandteile, Hausrat) und in Ausnahmefällen - wie in Sulzburg - die Personen selbst untersuchen.
Das Bergbaurevier Sulzburg liegt ca. 25 km südlich von Freiburg im Brsg. im Südschwarzwald. Die Grundlage für den historischen Bergbau bildeten hier mehrere Blei-Silber-Erzgänge einige hundert Meter östlich der Stadt Sulzburg. In einer der ältesten Urkunden zum Silberbergbau in Deutschland wurden im Jahre 1028 die Abbaurechte “in valle Sulzberc” von Kaiser Konrad II. an das Bistum Basel geschenkt und in der 2. Hälfte des 13. Jhdts. wurde in diesem Tal die Stadt Sulzburg gegründet, die das älteste deutsche Stadtsiegel mit einer Bergbaudarstellung führt. Trotz dieser besonderen Quellenlage muß hier einschränkend betont werden, daß sich dieses Montanrevier an Größe und Umfang der Bergbautätigkeiten nicht mit bedeutenden Revieren im Harz, im Erzgebirge oder in Tirol messen kann. Dies ist für Untersuchungen zur Wirtschaftsgeschichte jedoch eher von Vorteil, da das kleine Sulzburger Revier anscheinend wesentlich empfindlicher auf Boom- und Krisenphasen des Silberbergbaus reagierte als seine großen Verwandten. Aufgrund der historischen Überlieferung und bereits bekannten Hinweisen auf römischen Bergbau führte deshalb das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Freiburg von 1988 bis 1995 in diesem Tal umfangreiche montanarchäologische Forschungen durch. Diese konzentrierten sich neben der Untersuchung der Abbauspuren hauptsächlich auf Siedlungsbefunde im Talgrund, die in unmittelbarer Nähe zu dem bedeutendsten Erzgang liegen. Hier konnten im Bereich der Grabungsflächen auf engem Raum sechs Siedlungsphasen vom 2. bis in das 16. Jhdt. untersucht werden.
Bei der ältesten Phase handelt es sich um ein römisches Badegebäude, das in der 2. Hälfte des 2. und in der 1. Hälfte des 3. Jhdts. benutzt wurde. Der Mauermörtel des Bades enthält zahlreiche Schlacken einer Blei-Silber-Verhüttung, die indirekt den Abbau und die Verarbeitung von Erzen vor bzw. während der Errichtung des Gebäudes belegen. In die gleiche Richtung weisen auch Bleireste aus der bereits in römischer Zeit erfolgten teilweisen Verfüllung des Bades. Das Blei stammt aufgrund der vorgenommenen Isotopenanalysen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem benachbarten Erzgang. In der Mitte des 3. Jhdts. bricht dann die römische Besiedlung und damit vermutlich auch der Bergbau ab.
Eine Wiederbesiedlung im Bereich der Ausgrabungen läßt sich durch Keramikfunde erst wieder ab dem 10. Jhdt. fassen. Ob sich diese Siedlung schon von Anfang an auf Bergbau spezialisiert hatte oder ob es sich zunächst um eine Aufsiedlung im Zuge des inneren Landesausbaus handelte, läßt sich zur Zeit nicht entscheiden. Ab der Jahrtausendwende scheint für die Siedlung jedoch der Bergbau an wirtschaftlicher Bedeutung gewonnen zu haben. Dies kann aus der historischen Überlieferung, aber auch aus den untersuchten und datierten Abbauspuren auf dem Erzgang geschlossen werden.
Die gewachsene Bedeutung der Siedlung wird schließlich auch der Grund gewesen sein, weshalb man in der Mitte des 12. Jhdts. an diesem Platz eine 11m mal 7m große Steinkirche erbaute. Da weder die Siedlung noch die Kirche in den historischen Quellen erwähnt werden, können zur rechtlichen Stellung der Kirche keine Aussagen gemacht werden. Man wird jedoch von einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem in 750m Entfernung liegenden und 993 gegründeten Kloster St. Cyriak ausgehen dürfen. Mit Sicherheit verfügte die kleine Kirche allerdings über das Bestattungsrecht, da um die Kirche herum annähernd 100 Gräber ausgegraben werden konnten. Man kann davon ausgehen, daß es sich dabei um die verstorbenen Bewohner der weiterbestehenden Bergbausiedlung handelt. D.h. aber nicht, daß alle Bestatten einmal direkt im Bergbau tätig waren.
Der Bergbau bildete lediglich den Kristallisationspunkt für die Siedlung und zog Menschen an, die die Erze weiteraufbereiteten oder Zulieferfunktionen für den Bergbau übernahmen (Köhler, Schmiede etc.). Bei den bestatten Personen handelt es sich dementsprechend um eine gemischte Bevölkerung aus Frauen, Männern und Kindern. Nach der abschließenden Vorlage der anthropologischen Auswertung (Alter, Geschlecht, Krankheiten) und der naturwissenschaftlichen Analysen (Herkunftsbestimmung und Bleibelastung der Bestatteten anhand von Spurenelementen), sind detaillierte Einblicke in den Lebensalltag dieser Menschen zu erwarten. Das Ende der Kirche und der separaten Bergbausiedlung in der 2. Hälfte des 13. Jhdts. ist in Zusammenhang mit der Stadtgründung Sulzburgs zu sehen. Die Gründe für diesen einschneidenden Eingriff in das Siedlungswesen bleiben unklar, sie fallen aber offensichtlich in eine Blütephase des Bergbaus.
Die kleine Kirche weiter hinten im Tal wird abgerissen und an ihrer Stelle erbaute man ein ummauertes Hofareal mit Steinkeller, das bis ins 14. Jhdt. vielleicht der Verwaltung des Bergbaus und der Lagerung von Erzen gedient haben könnte.
Infolge der spätmittelalterlichen Wirtschaftskrise kam auch im Sulzbachtal der Bergbau vorübergehend zum Erliegen. Ein bei den Grabungen erfasster einfacher Hausgrundriß aus dem späten 14. Jhdt. steht wohl nicht mehr in Zusammenhang mit Bergbauaktivitäten, sondern hängt eher mit einer lockeren Streubesiedlung vor den Toren der eigentlichen Stadt zusammen, die auch in den Schriftquellen dieser Zeit belegt ist.
Im 16. Jhdt. florierte der Bergbau im Südschwarzwald dann wieder für rund einhundert Jahre. In dieser Zeit errichtete man auch in Sulzburg noch einmal ein kleines Verwaltungsgebäude mit halbrundem Abschluß, in dem sich unter anderem die Überreste eines Kachelofens fanden.
Die jüngsten - ausschließlich historisch überlieferten - Abbaubestrebungen datieren in das 18. Jhdt. und wurden alle nach einer gewissen Zeit wegen Unwirtschaftlichkeit endgültig eingestellt.
Literatur
- Alter Bergbau im Sulzbachtal, Südschwarzwald. In: Archäologische Nachrichten aus Baden 61/62 (1999).
- Geschichte der Stadt Sulzburg Bd. 1 (Freiburg 1993)