Stadt und Architektur im Alten Ägypten
Von den Anfängen bis zum Beginn des Neuen Reiches (3200 bis 1550 v. Chr.)
Bauforschung in Ägypten
Als Architektur bezeichnet der Bauhistoriker Gebäulichkeiten, deren Erscheinungsbild Planung voraussetzt - sowohl im Entwurf als auch in der Ausführung. Damit geben sie auch künstlerischen und gesellschaftspolitischen Ambitionen des Bauherrn wie des Baumeisters Ausdruck. Gleiches gilt für den Städtebau. Unter diesem Aspekt war das Land am Nil in der Zeit vor 3000 v. Chr. im Vergleich zum Zweistromland, Anatolien und seinen Grenzregionen, die bereits lange Zeit zuvor dauerhaft Siedlungsstrukturen und Architekturformen hervorbrachten, ein dem urtümlichen Bauen verhaftetes Entwicklungsland.
Soweit wir heute wissen, wurden in Ägypten nicht vor dem ausgehenden 4. Jt. v. Chr. erste Architekturen größeren Maßstabs ausgebildet, auch wenn bereits vorher einzelne Gebäude aus Lehmziegeln oder sogar aus Bruchstein errichtet wurden. Das Bauwesen in diesem "architektonischen Neuland" gewann trotzdem schnell große Bedeutung, überflügelte in vielen Aspekten die Länder mit älterer Architekturtradition und wurde in einigen Bereichen sogar richtungsweisend.
Unsere Vorstellungen von den architektonisch - städtebaulichen Anfängen und der anschließenden Entwicklung basieren für die ersten 1500 Jahre ägyptischer Architekturgeschichte auf nur wenigen bisher ergrabenen Beispielen. Der Versuch einer Gesamtdarstellung der altägyptischen Stadt und Architektur kann daher nur den gegenwärtigen Stand der Baugeschichtsforschung wiedergeben. Wichtung und Wertung der Befunde hängen zudem von der Ausrichtung des Forschers ab.
Folglich werden hier, basierend auf eigener Grabungstätigkeit in Ägypten, in erster Linie architekturbezogene Aspekte altägyptischer Stadt und Architektur dargelegt: Auch mittels archäologischer Bauforschung gewonnene Baugeschichte hat die Aufgabe , "...historische Architektur nicht in eine wie immer geartete Geschichte einzuordnen und aus dieser heraus zu erklären, sondern ...[hat] es im besten Sinne mit Objekten zu tun ... , die selber Geschichte darstellen."
Entwicklungen in der Architektur
Architektur und Städtebau Ägyptens waren zwischen 3200 und 1550 v. Chr. einer technischen, funktional-formalen, aber auch baukünstlerischen Entwicklung unterworfen, die alle Architekturgattungen gleichermaßen betraf. Um 3200 v. Chr. vollzog sich der Übergang von noch vorgeschichtlich geprägten Bauwerken in Holzpfosten- oder Grubenbauweise zu Massivbauten aus Lehmziegeln. Diese standen nun an einigen besonders wichtigen Plätzen in baulich fest gefügten Umgebungen, den frühen Herrschaftszentren und Städten Ägyptens. Auslöser war der politisch-gesellschaftliche und kulturelle Wandel, der schließlich um 3000 v. Chr. zum pharaonischen Gesamtstaat führte. Ägypten gehörte nun zum exklusiven Kreis der frühen Hochkulturen, die sich nicht nur durch die Erfindung der Schrift und die Ausbildung einer differenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft auszeichneten, sondern auch durch spezifische Architekturformen.
Die folgenden 1500 Jahre waren von fortwährenden architektonischen Neuerungen und Abwandlungen geprägt, die sich uns noch überwiegend aus dem Bestattungskult erschließen. Die Erfindung der Pyramidenform für den Grabbau, die um 2700 v Chr. für uns erstmals deutlich mit der Stufenpyramide des Königs Djoser in Sakkara umgesetzt wurde, markiert das Ende der frühdynastischen Zeit (1. und 2. Dyn., um 3000 - ca. 2700 v. Chr.). Sie kennzeichnet gleichzeitig den Beginn einer neuen Epoche, des Alten Reiches (3. bis 8. Dyn., ca. 2700 - ca. 2137 v. Chr.), in der schließlich die gewaltigen Bauwerke in idealer Pyramidenform (Giza!) errichtet wurden. Die letzte der uns bekannten späten Grabpyramiden, die wohl vollendet worden war, wurde unter König Userkaf Chendjer um 1700 v. Chr. errichtet . Die Pyramidengestalt blieb jedoch in kleinerem Maßstab als ägyptische Bauform bestehen. Für die auf das Alte Reich folgende Dynastienepoche, das Mittlere Reich (11. und 12. Dyn., 2130 -1781 v. Chr.), ist der Terrassentempel Deir el-Bahari in Luxor aus der 11. Dyn. ein Beispiel, an dem neue Architekturkonzepte deutlich werden.
Städtebau
Wenn auch die Bestattung einen wichtigen, vielleicht sogar den wichtigsten Aspekt im Leben eines Ägypters darstellte, so gehören Grabbauwerke architekturgeschichtlich dennoch nur zu der Vielzahl von Bauleistungen, die die Architektur des Landes bestimmten. Gestaltung, Konstruktion und Ausführung aller Architektur unterlagen stetigem Wandel, unabhängig davon, ob es sich um Grabbauwerke, Städte, Gebäude der Beamten oder Arbeiter, Göttertempel oder große Werkstatt- und Wirtschaftsanlagen handelte. Dieser wurde nicht zuletzt durch politisch-gesellschaftliche Ereignisse und Zustände beeinflußt. Dazu zählen nicht nur der Übergang vom vorgeschichtlich geprägten Ägypten der Kleinkönige und Fürsten zum Ägypten der frühen Pharaonen, die Ausbau- und Konsolidierungsphase bis zum Ende des Alten Reiches und die Wiederherstellung der politischen Einheit im Mittleren Reich, sondern auch die sogenannten Zwischenzeiten (9./10. Dyn., 2130 - 2025 v. Chr.; 13. bis 17. Dyn., etwa 1781-1550 v. Chr.), waren es nun Zeiten geringer politischer Stabilität oder Zeiten, in denen Fremdherrscher Ägypten regierten.
Ab 3000 v. Chr. entwickelte sich in Ägypten Stadtplanung: Städte und Siedlungen lagen im weiten Delta und im schmalen Niltal, den historischen Landesteilen Unter- und Oberägypten. Siedlungsstandorte waren sowohl flache Hügelkuppen inmitten des Fruchtlandes als auch Fruchtlandrandbereiche am Übergang zur Wüste. Die Ressourcen dafür waren im Land selber und in den Ländern im Osten vorhanden, zu denen in der letzten Hälfte des 4. Jts. v. Chr. nachweislich Kontakt bestand.
Nicht unwahrscheinlich ist daher, daß den frühen Herrschaftszentren im meernahen Delta mit seinen Landverbindungen nach Osten die Rolle der Vermittlung der neuen Architektur zukam, obwohl diese dort bisher nur wenig faßbar ist. Frühe schriftliche Quellen berichten von der Bedeutung der Plätze Buto und Sais. Fraglich bleibt, ob daraus konkrete Architekturvorstellungen dieser Zeit abzuleiten sind. In Buto wurden in jüngster Zeit Dekorationselemente gefunden, die eine Gebäudegestaltung vergleichbar der mesopotamischen nahelegen.
Die Stadt als Festung
Baulich belegt ist die neue Architektur in beiden Landesteilen etwa seit dem letzten Viertel des 4. Jts. v. Chr. In Oberägypten waren es wohl zunächst die alten Herrschaftszentren Abydos, Hierakonpolis und Ombos, wo die herrschenden Eliten die neue Architektur nach und nach für einzelne Bauaufgaben übernahmen, abhängig von Machtverhältnissen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Eine wichtige Bauaufgabe war der Festungsbau, der zum bedeutsamen Auslöser städtischer Entwicklung wurde. In keinem anderen Land scheinen, baulich nachweisbar, so früh kleine, regelmäßig angelegte und hochgradig verteidigungswirksame Anlagen zum Landesausbau und zur Landessicherung entwickelt und gebaut worden zu sein wie in Ägypten.
Aufgrund der Handelsbeziehungen mit den Ländern des Vorderen Orients kann vermutet werden, daß sie in Kenntnis des dortigen Befestigungsbaus entstanden (Habuba Kabira). Zwar sind aus dem Osten regelmäßige Anlagen vergleichbarer Größe bekannt, bisher allerdings nicht als hochgradig durch Türme und Tore gesicherte Festungen. Entscheidend könnte daher die Modifikation der syro-mesopotamischen Burg und großen Stadt gewesen sein, die Synthese zwischen regelmäßig ummauertem Bezirk und Befestigung, die einem ägyptischen Neuentwurf nahekommt. Dessen verteidigungstechnische Entwicklung ließ die älteren Vorbilder, aber auch die etwa zeitgleich entstehenden Burgen in Palästina weit hinter sich zurück. Festungen waren bis in das 2. Jt. v. Chr. hinein Ausgangspunkt für die Stadtwerdung in Ägypten und den eroberten Gebieten. Durch Ausbau wurden sie bereits früh zu Stadtfestungen, die über die Landessicherung hinaus differenzierten, städtischen Nutzungen wie Kult, Handwerk und Handel dienten.
Ab 2000 v. Chr., im Mittleren Reich, wiederholten sich mit dem ägyptischen Festungsbau in Nubien solche Stadtwerdungsprozesse. Buhen, Aniba und viele andere, zum Teil bis in das späte 3. Jt. v. Chr. zurückgehend, wurden zu Stadtfestungen ausgebaut. Sie unterscheiden sich baulich durch ein in die Tiefe gestaffeltes Verteidigungssystem aus Gräben, Vormauern, Zwingern und Hauptmauer von den älteren Festungen. Für diese Neuerungen sind Einflüsse von außerhalb nicht unwahrscheinlich, auch wenn Ägypten anscheinend weiterhin das einzige Land blieb, das Festungen mit regelmäßigem Grundriß baute. Das Innere von Festungen dürfte bereits vor dem Mittleren Reich regelmäßig bebaut gewesen sein. Bereits die innere Bebauung der Festung Ayn Asil aus dem fortgeschrittenen Alten Reich zeigt eine solche Regelmäßigkeit mit repräsentativen Elementen wie einem vielleicht dreiseitigen Pfeilerhof. Die Flächen der Stadtfestungen, die Produktion, Handel und Kult dienten, unterlagen anderen städtebaulichen Kriterien als die Festungen. Auch für diese ist von großräumiger Planung auszugehen, die jedoch jeweils nur einzelne Abschnitte besonderer Nutzung betraf, so daß die Gesamtbebauung durchaus unregelmäßig erscheint.
Burgen und Kultstätten als Kernzonen für Stadtgründungen
Vom Ende des 4. Jts. v. Chr. sind aus Abydos große, mehrräumige, in die Erde eingetiefte Ziegelgräber überliefert, die zu Aufschlüssen der Architektur der Lebenden herangezogen werden, weil profane Belege fehlen. Demnach waren mehrräumige Profangebäude regelmäßig und rechtwinklig angelegt, aus luftgetrockneten Lehmziegeln gemauert und wurden später auch erweitert. Sie waren vermutlich Bestandteil lokaler Herrschaftssitze und lagen vergleichbar den Baubefunden aus anderen Ländern innerhalb befestigter burgähnlicher Bereiche. Vergleichbare Burgbefunde aus Ägypten gibt es bisher nicht. Allenfalls in Elephantine am 1. Katarakt im Süden des Landes gibt es Spuren einer der Topographie folgenden Befestigungsmauer aus dem frühen 3. Jt. v. Chr. Über die innere Bebauung ist bisher jedoch so gut wie nichts bekannt. Weitere läßt die Topographie in Abydos und Buto vermuten. Etwa ab 2900 v. Chr. scheinen solche topographisch bestimmten burgähnlichen Befestigungsanlagen, anders als in den außerägyptischen Ländern (Troja!), nicht mehr gebaut worden zu sein.
Andere Plätze zeichneten sich durch wichtige Kultstellen aus und wurden später wie die alten Herrschaftszentren zu Städten. Bereits in spätvorgeschichtlicher Zeit dürfte zum Beispiel das mittelägyptische Koptos eine wichtige Kulteinrichtung gehabt haben, die möglicherweise von einer Umfassungsmauer umgeben war (Koptos). Es zeichnet sich ab, daß die frühen Städte Ägyptens zunächst aus solchen einzelnen, isoliert liegenden ummauerten Bezirken bestanden. Die Bezirke waren großflächig und regelmäßig angelegt. Ihre innere Bebauung dürfte aus Einzelgebäuden wie auch aus einzelnen flächig bebauten Quartieren bestanden haben. Um 3000 v. Chr. gab es in Hierakonpolis in Oberägypten einen solchen Palast- oder Tempelbezirk, dessen Toranlage mit einer Nischenfassade künstlerisch gestaltet war. In einem zweiten, isoliert davon gelegenen Bezirk gab es eine Kultstelle. Beide Bezirke wurden etwa um 2700 v. Chr. mit einer Gesamtmauer umgeben.
In Abydos scheint es bereits in der 1., sicher dann in der 2./3. Dyn. einen ummauerten Bezirk mit Götterheiligtum und wohl königlicher Kultstelle gegeben zu haben. Neben diesem gab es dort vielleicht bereits einen weiteren Bezirk, bei dem es sich um eine palastartige Anlage gehandelt haben könnte. Ein dritter Bezirk könnte Versorgungsquartiere beinhaltet haben. Anders als die regelmäßig angelegten Festungen sind Bezirksmauern nicht durch besondere Verteidigungsbauten wie Türme oder besonders gesicherte Tore geschützt. Die zunächst an einem Platz isoliert liegenden Bezirke wurden später von einer großen Mauer zusammengefaßt. Auch diese, häufig als Stadtmauern bezeichneten Mauern hatten wie die Bezirksmauern deutlich geringere fortifikatorische Qualitäten als diejenigen der Festungen. Die unregelmäßige Form vieler ägyptischer Städte mag unter anderem auf die Zusammenlegung einzelner Bezirke zurückzuführen sein.
Die sogenannten Pyramidenstädte
Auch die sogenannten Pyramidenstädte des Alten und Mittleren Reiches gingen aus einzelnen, voneinander getrennten Bezirken hervor. Sie entstanden jedoch als Stadtbauprojekte an den Plätzen, die die Könige für ihre Begräbnisstätten ausgewählt hatten. Dadurch standen sie in enger Verbindung zum jeweiligen Pyramidenbau, waren jedoch nicht ausschließlich Arbeiterstädte, sondern nahmen durchaus den Status einer neuen Residenzstadt ein wie zum Beispiel Kahun, Totenstätte Sesostris II. Bisher dürfte nur der kleinere Teil dieser um 1850 v. Chr. entstandenen Stadt bekannt sein, da wesentliche Bestandteile der Gesamtanlage wie königliche Palast- und Versorgungsbezirke bisher nicht erschlossen sind. Auch andere Großbauprojekte sind städtebaulich nach Bezirksstandards ausgerichtet worden.
Im Zusammenhang mit einem Steinbruchbetrieb entstanden in Qasr es-Sagha mindestens zwei Siedlungskerne als isoliert voneinander liegende ummauerte Bezirke. In einem dritten lag der zwar unvollendete, doch offensichtlich ursprünglich großräumig geplante Steintempel, der auf die beabsichtigte Größe und Rolle dieser unfertig gebliebenen Stadt hinweist. Der eine der ergrabenen Siedlungskerne war, vergleichbar mit den Festungen, nach einem orthogonalen Plan errichtet und bot den Bewohnern einfache, doch gut organisierte Unterkünfte. Weitere Bezirke wurden nicht realisiert und der Ort verfiel, bevor er zur Stadt werden konnte. Blieb die Bedeutung eines Platzes erhalten, wie bei den Pyramiden von Giza, wuchsen aus einzelnen Bezirken ungeheuer große Städte zusammen, die eine Ausdehnung von 1 km mal 2 km gehabt haben könnten. Neben den Pyramidenstädten dürfte es bereits früh von den eigentlichen Städten räumlich getrennte Werkstatt-, Wirtschafts- und Handelsbezirke gegeben haben, die im Namen eines Herrschers oder eines Tempels betrieben wurden. Sie lagen vor einer Stadt oder als Güter weitab davon (Buto). Baulich waren es Bezirke, die den Residenzstädten mit ihren Werkstatt-, Wirtschafts- und Versorgungsanlagen glichen, jedoch keinen dem repräsentativen Palast vergleichbaren Wohnteil aufwiesen, sondern nur über dessen administrativ-repräsentativen Teil verfügten.
Stadtbebauung
Der Tempelbau als städtebauliches Element
Wichtiges Element eines Platzes, ob einer unbefestigten Siedlung, einer Festung, einer Stadt oder eines Wirtschaftsgutes war die Götterkultstelle. In der frühen Zeit waren diese Kultbauten offenbar nur an wenigen bedeutenden Plätze wie zum Beispiel in Koptos und Abydos architektonisch herausragend. Spätestens seit dem späten Alten Reich wurden auch die Heiligtümer anderer Plätze baulich hervorgehoben. Sie waren wie die übrige Architektur aus Lehmziegeln errichtet, jedoch unter Verwendung einzelner Bauteile aus Stein, lagen innerhalb ummauerter, eigenständiger, im Stadtgebiet fest verankerter Quartiere oder als Bezirke außerhalb der Städte. Das eigentliche Tempelhaus war anfänglich klein und stark auf die lokale topographisch-kultische Situation ausgerichtet. So findet man echte Felsenheiligtümer wie in Medamud, aber auch solche wie in Elephantine, in der die kultbestimmende Felsformation nur noch den baulichen Hintergrund bildete. Der Forschungsstand läßt noch kein abschließendes Bild von den frühen Göttertempeln zu.
Sicher ist jedoch, daß im Mittleren Reich ab 1971 v. Chr. unter Sesostris I. königliche Ausbauprogramme für die Göttertempel deutlich an Bedeutung gewannen. Nachdem aufgrund der Schwäche der Zentralgewalt aufstrebende Provinzherrscher in Ägypten zeitweise an Macht gewonnen hatten, existierte wieder ein festgefügter ägyptischer Gesamtstaat. Möglicherweise sollte die durch die baulich manifestierten Teilherrschaften der Provinzgouverneure seit dem späten Alten Reich verlorengegangene königliche Präsenz in der Provinz mittels dieser Programme zurückgewonnen werden.
Die neuen Göttertempel waren aus Stein errichtet, beruhten jedoch im Unterschied zu den späteren festgefügten Bautypen nur zum kleinen Teil auf einem festen Bauschema. Vielmehr nutzten sie die örtlichen Gegebenheiten und paßten sich diesen an. So entstanden Tempelanlagen mit sehr individuellen Grundrißlösungen (Medamud, Elephantine). Gerade diese als provinzialisierend bezeichnete Architektur könnte dazu geführt haben, daß die ansässige Bevölkerung die Könige als ortsverbundene Stifter wahrnahm. Vom Ende des 3. Jts. v. Chr. bis zum Ende der 2. Zwischenzeit 1550 v. Chr. existierte daher wohl ein breites Spektrum an Göttertempeln, deren gemeinsamer Nenner der voll ausgebildete Steinbau mit Schmuckdekor aus Hohlkehle und Rundstab, dekorierter Säule und Pfeiler war.
Die Wohngebäude
Die Bevölkerungsgruppen, die in den seit 2700 v. Chr. zahlreicher werdenden Festungen und Städten lebten, arbeiteten und versorgt wurden, können durchaus noch in vorgeschichtlich geprägten Hütten aus Schilf und Lehm im Stadtgebiet gewohnt haben. Etwa 100 Jahre später wurden dann gehöftartige Gebäude errichtet, die auf einen gestiegenen Lebensstandard der Bewohner hinweisen (Elephantine Gehöft). Ausweislich der Baubefunde handelte es sich, vornehmlich bei Gebäuden wirtschaftlich besser gestellter Bevölkerungsteile der Städte und Stadtfestungen, aber auch der Tempel und Totenkulteinrichtungen, um von Fachleuten oder mit Fachwissen geplante und ausgeführte Bauwerke. Sie waren in der Regel mehrräumig, zum Teil auch zweigeschossig und verfügten entweder über eigene Hofflächen mit Speichersilos oder aber über gemeinschaftliche Versorgungsflächen (Elephantine Festung).
Als Einzel-, Gruppen- oder Reihenhäuser angelegt, stellten sie eine Architekturform dar, deren Entwicklung bereits um 2700 v. Chr. abgeschlossen war. Regelrechte Wohnquartiere für Bevölkerungsteile in herausragenden Positionen gab es nachweislich seit etwa 2450 v. Chr. in Giza (Priesterqaurtier). Seit 1897 v. Chr. sind Wohnquartiere für einen breiten Querschnitt der Bevölkerung, vom Fürsten bis zum Arbeiter, in Kahun belegt.
Die Provinzpaläste der Gouverneure des späten Alten Reiches mögen ihre Vorbilder in noch unbekannten älteren königlichen Palastanlagen gehabt haben (Ayn Asil). Sie wurden als großräumig angelegte Bezirke errichtet, die wohl sowohl innerhalb wie auch außerhalb einer Stadt liegen konnten (Elephantine). Entsprechend der Entwicklung im Grabbau wurden sie kontinuierlich durch Vorhallen, Säulenhöfe und Säulenhallen monumentalisiert. Baulich besser bekannt sind die Paläste des Mittleren Reiches, von denen einige vielleicht königliche Residenz waren (Bubastis, Auaris). Neben dem repräsentativen Wohnteil besitzt der vor der Stadt liegende Palast in Bubastis ausgedehnte Wirtschafts- und Versorgungsanlagen.
Für das Mittlere Reich sind herrschaftliche Reihenbauten nachgewiesen, deren Raumfolgen aus Vorhallen und Säulenhallen und deren Aufteilung in verschiedene baulich voneinander getrennte Nutzungsbereiche wohl von den königlichen Palästen entlehnt waren, allerdings ohne deren Wirtschafts- und Versorgungseinrichtungen (Kahun). Städtebaulich handelt es sich damit eher um eine Fortentwicklung der herrschaftlichen Bauten des Alten Reiches als um Kopien der zeitgleichen königlichen Paläste.
Die Dienstgebäude
Der Hausbau anderer Bevölkerungsgruppen entwickelte sich anders: Wohl aus den Bauten der Gefolgsleute des Königs, die in seinem Namen in den Tempeln, aber auch in den Werkstatt-, Wirtschafts- und Handelsanlagen Dienst taten, entstand ein herrschaftlicher Bautyp, der zunächst unter dem Aspekt der Diensttätigkeit mit administrativer und repräsentativer Nutzung entstand und schließlich auch zu Wohnzwecken genutzt wurde. Maßgebendes bauliches Element dürfte die langrechteckige Halle gewesen sein, die durch eine Nische und eine Pfeilergliederung gestaltet wurde (Elephantine).
Eingebunden in die Dienstbereiche Tempel, Werkstatt, Versorgung oder Handel scheint es sich zunächst um Einzelbauten gehandelt zu haben. Bereits am Ende der 1. Dyn. könnte ein solches Dienstgebäude als eigenständiger Architekturtyp existiert haben, weil ein Grabbesitzer ein begehbares Modell eines solchen Gebäudes als Zeichen seiner persönlichen Bedeutung seinem herrschaftlichen Grab in Sakkara anfügte. Noch in der 4. Dyn. dürften solche an Arbeitsstätten gebundenen Gebäude auch als repräsentative Wohngebäude für besondere Personengruppen als Reihengebäude errichtet worden sein (Giza). Später, im Mittleren Reich, fanden dann einzelne der repräsentativen Elemente wie Vestibül und Säulenhalle auch Eingang in die noch weitgehend gehöftartig geprägten Wohn- und Wirtschaftsbauten (Elephantine).
Der Totenkult als Innovationsträger der altägyptischen Architektur
Trotz der Eigenständigkeit der Architektur der Lebenden waren die gewaltigen Bauprogramme des Totenkultes vornehmliche Architekturträger ihrer Zeit. Das heißt, bereits für sehr frühe Zeit muß man damit rechnen, daß Entwicklungstendenzen, Bauformen und Detailausbildungen, aber auch großräumige Anordnung und Ordnung, also städtebauliche Aspekte, aus der Totenkultarchitektur Eingang in das Baugeschehen außerhalb dieser Bauaufgaben gefunden haben. Die wegweisende Bedeutung der königlichen Grabarchitektur für die Entwicklung des altägyptischen Bauwesens ist ab der 4. Dyn. deutlich faßbar, als in den Pyramidenbezirken mit den Tal- und Totentempeln und ihren Nebenbauten Raumprogramme mit axialer Erschließung durch Pfeiler- und Säulenhallen realisiert wurden (Abusir).
Ob diese Entwicklung zeitlich parallel zu derjenigen der königlichen Palastarchitektur erfolgte, ist noch völlig unklar. Wenn auch bauliche Belege fehlen, scheint es nicht ausgeschlossen zu sein, daß diese Elemente erst im Alten Reich ab der 6. Dyn. und auf breiter Basis im Mittleren Reich in die Architektur außerhalb des Totenkultes aufgenommen wurden, allerdings zunächst in den Göttertempeln und nur in abgewandelter Form, ohne axiale Bezüge, in den Palästen der Herrscher und den angeschlossenen Gebäuden (Ayn Asil). Es scheint nicht übertrieben zu sein, wenn man die königliche Grabarchitektur oder die mit ihr verbundenen Bauwerke des "Königs-Gott-Kultes" als hauptsächliches Experimentierfeld für neue die Architektur charakterisiert.
Einige Beispiele mögen das breite Spektrum unterschiedlichster Baulichkeiten verschiedener Bedeutung innerhalb der königlichen Grab- und Verehrungsarchitektur aufzeigen, das neben den Pyramidenbauten existierte: die obeliskartigen Sonnenheiligtümer der 5. Dyn. in Abusir, die königlichen Kultkapellen der 6. Dyn. in Bubastis, aber auch die fürstlichen oder königlichen Pfeilergräber der 11. Dyn., aus denen der bereits genannte Mentuhotep II. Tempel in Theben-Luxor entstand, sowie die königlichen Kultkapellen in Auaris und auf dem Thotberg aus der 11. bzw. 13. Dyn. Bereits vor 3000 v. Chr. dürfte die Grabarchitektur nicht Abbild der Architektur der Lebenden gewesen sein. Vielmehr fanden die architektonisch-städtebaulichen Innovationen, die die Bauprogramme hervorbrachten, Eingang in die Profanarchitektur.
Literatur
Allgemein:
- D. Arnold, Die Tempel Ägyptens, Zürich 1992
- ders., Lexikon der ägyptischen Baukunst, Zürich 1994
- M. Bietak, in: 150 Jahre DAI, Kolloquium Berlin 1979, Mainz 1981, S. 68-78
- W.B. Emery, Geschichte und Kultur der Frühzeit 3200-2800 v. Chr., Wiesbaden 1964
- M. A. Hoffman, Egypt before the Pharaoh, New York 1991
- B.J. Kemp, Ancient Egypt. Anatomy of a Civilization, London New York 1989
- H. Ricke, Bemerkungen zur ägyptischen Baukunst des Alten Reiches,, Bd. 1 und 2, Beiträge Bd. 4 und 5,1, Zürich 1944, Kairo 1950
- R. Stadelmann, Die ägyptischen Pyramiden, Mainz 1991
- M. Verner, Die Pyramiden, Reinbeck bei Hamburg 1998
- M. Ziermann, Beiträge zur Architektur. Ägypten - von den Anfängen bis zum Beginn des Neuen Reiches
Zu verschiedenen aktuellen Grabungen:
- M.D.Adams, in: 7th International Congress of Egyptologists, C. J. Eyre (Hrsg.) Leuven 1998, S. 19-30 (Abydos Stadt)
- M. Bietak, Tell el-Dab`a II. Der Fundort im Rahmen einer archäologisch-geographischen Untersuchung über das ägyptische Ostdelta, Wien 1975 (Auaris)
- G. Dreyer, in: MDAIK 49, 1993, S. 23-62 (Abydos Königsgräber)
- W. Kaiser, Elephantine. Die antike Stadt, Kairo 1998 (Elephantine)
- J. Sliwa, in: MDAIK 48, 1992, S. 177-191 (Qasr es Sagha Stadt)
- G. Soukiassian, in: Egyptian Archaeology 11, 1997, S. 15-17 (Ayn Asil)