Spielzeug aus dem Mittelalter
Grabung in Salzwedel bringt kleine Sensation ans Licht
Der geplante Neubau eines Parkhauses in der historischen Altstadt von Salzwedel machte im Juli 2001 eine Ausgrabung auf dem Grundstück Neuperver Straße 69 und 71 notwendig. Das Grabungsgelände liegt mit dem Vorderhaus 26 m vor dem Neupervertor, im rückwärtigen Bereich 18 m vor der Stadtmauer und gehört zu der im 13. Jahrhundert gegründeten und systematisch angelegten Neustadt von Salzwedel.
Das Landesamt für Archäologie Sachsen-Anhalt mit einem Grabungsteam von 7 Leuten unter der Grabungsleitung von Sigrid Woehl M.A. konnte nach ersten Baggerarbeiten frühneuzeitliche und mittelalterliche Fundamente aus Findlingen mit neuzeitlichen Ziegeleinbauten freilegen.
Das Areal direkt an der Neuperverstraße ist teilweise noch mit denkmalgeschützten Häusern bebaut. Im Hinterhaus von Hausnummer 69 konnten Gebäudereste mit Fundamenten aus Findlingen und Fußböden freigelegt werden. Besonders ein Raum zeigt, daß die Mauern aus dem Mittelalter immer wieder ausgebessert und erneuert wurden. Die Mauern in diesem Raum hatte man mit Ziegeln ausgekleidet, den Zugang verkleinert und mit Ziegeln einen Absatz gemauert, auch der Fußboden wurde mehrmals ausgebessert und schließlich mit Sandsteinplatten abgedeckt.
Im Mörtel der Wand befand sich eine Weinflasche aus dem Jahre 1793 und unter der Unterfütterung für den Flußkieselboden noch mehr Flaschenmarken mit Wappen und brandenburger Adler.
Direkt dahinter konnten weitere Mauerzüge aus Findlingen mit angesetztem Fußboden ausgegraben werden. Der Hinterhofbereich war ebenfalls mit Flußsteinen gepflastert, eine Rinne in der Pflasterung und zahlreiche Luppen deuten auf Metallverarbeitung hin. Vielleicht wurde im Hinterhof eine Schmiede betrieben.
Die Grenze zwischen Hausnummer 69 und 71 setzt sich auch im archäologischen Befund fort. Im Hinterhaus von Nummer 71 sind mächtige Findlingsfundamente ergraben worden. In einer Ecke dieser Fundamente war eine Schüssel deponiert und ein weiterer seltener Fund lag ca. 1,20 m tiefer in einem ungestörten Horizont. Unter einem neuzeitlichen Ziegelboden mit eingelassener Sandsteinplatte, lag eine ca. 5 cm helle Sandschicht, die als Unterfütterung zum Ziegelboden gehörte. Darunter befand sich eine ca. 20 cm mächtige Verfüllung aus Kies. Beim Abtragen dieser Verfüllung kam eine schwarz-graue Tonfigur zum Vorschein. Weitere Scherben in der gleichen Schicht machen eine Datierung der Figur in das 13. Jahrhundert wahrscheinlich. Unter dieser mittelalterlichen Schicht kam nur noch glazialer Boden zu Vorschein.
Die Figur ist 10,5 cm hoch, frei modelliert mit einer Standfläche. Sie ist mit einem Kapuzengewand bekleidet, wobei die ausgeformte Spitze der Kapuze nicht mehr vorhanden war. Beide Arme sind an der Schulter abgebrochen, ebenfalls verlorengegangen sind das markant ausgeformte Kinn, der Haaransatz an der rechten Seite mit dem Kapuzengewand, die Nasenspitze, ein Auge und der untere Rand des Gewandes. Alle Bruchstellen sind alt.
Das Gesicht ist mit 4 cm Länge im Gegensatz zum Körper überproportional groß und detailliert ausgearbeitet. Unter dem Kapuzenrand schaut ein dichter Haarkranz, der stark gekerbt dicke Haarsträhnen andeuten soll, hervor. Die Stirn ist ausgeprägt, ebenfalls die Augenhöhlen, in denen separat aus dem gleichen Ton geformte runde Augengebilde mit Lid und Pupille liegen. Durchmesser der Augenscheibe 0,9 cm. Eine riesige Nase, ausgeprägte Wangenpartien und der separat geformte und aufgesetzte Mund mit wulstigen Lippen geben dem Gesicht ein karikaturhaftes Aussehen. Selbst mit dem abgebrochenem Kinn wird der Eindruck des Gesichts nicht gemindert.
Ein kurzer Hals auf dem geraden säulenartigen Körper verstärkt den grotesken Eindruck der Figur. Angedeutete Brüste und ein langer ausgestellter Rock machen die Deutung als weibliche Figur wahrscheinlich. An der Unterseite der Figur ist der Ton mit dem Daumen angedrückt, so daß der Rocksaum gleichzeitig Standfläche ist.
Die Rückseite der Figur ist bis auf den ausgeformten Zipfel der Kapuze relativ glatt, soweit der grob gemagerte und wenig durchgeknetete grau-schwarze Ton dies zuläßt. Die Rückseite erscheint vom Ton her eher grau, die Vorderseite dagegen ist sorgfältiger geglättet und schwarz. Aufgrund der Größe, der vollplastischen Ausformung und der Deutung der Figur als weiblich ist ein Spielzeug anzunehmen. Spielzeug aus dieser Zeit ist sehr selten und zeigt, wie wenig wir über das tägliche Leben in einer mittelalterlichen Stadt wissen.
Am NO-Ende des Grabungsareals konnte dann nur noch lockerer humoser Boden mit Streuscherben der frühen Neuzeit geborgen werden. Abfallgruben mit Bauschutt, glasierte Keramik, Glas und Knochen belegen, daß der Fundhorizont bis in unsere Zeit reicht.