»Pompeji Wiederbelebt!«
in bunten Scheinwelten aus Papier und Pixel
Die archäologische, künstlerische und touristische Rezeption der Casa del Poeta tragico - eine Sonderausstellung im Antikenmuseum der Universität Leipzig
Miniaturziegel aus gebranntem Ton bedachen aufwendig dekorierte, mit Szenen aus der römischen Mythologie geschmückte Wände aus stabilem Karton. Eine bunte Scheinwelt aus Terrakotta, Holz, Papier und Aquarellfarben entsteht vor dem Auge des Betrachters, wenn er sich mit Hilfe der auf einen halben Meter Höhe reduzierten Hausmodelle des britischen Architekten Nicholas Wood auf eine Zeitreise zurück in die Wohn- und Lebenswelt der Bewohner des antiken Pompeji begibt. Auf der Grundlage archäologischer Recherchen rekonstruierte Wood am Beispiel der Casa del Poeta tragico (Haus des tragischen Poeten) Architektur, Wanddekor und Innenausstattung dieses etwa 2000 Jahre alten Wohnhauses am Golf von Neapel. Zwei seiner aufwendig erstellten Modelle sind in der Sonderausstellung "POMPEJI WIEDERBELEBT! Entdeckung, Nachleben und Rekonstruktion eines antiken Wohnhauses" im Antikenmuseum der Universität Leipzig von 19.6. bis 31.8. zu sehen. Architekturpläne, Detailzeichnungen, rekonstruierte Möbel, archäologische Fundstücke, eine Computeranimation, Filme und literarische Zeugnisse versuchen, dem Alltag dieses Hauses im Schatten des Vesuv in Leipzig neues Leben einzuhauchen.
Sein Ende fand es vor knapp zweitausend Jahren, als der Ausbruch des Vulkans am 24. August 79 n. Chr. vielen Bewohnern Pompejis einen qualvollen Tod brachte. Der Archäologie hingegen schenkte er einen ihrer bedeutendsten Fundplätze. Seit Beginn der Ausgrabungen im 18. Jahrhundert wurden neben den öffentlichen Gebäuden dieser Kleinstadt vor allem üppig bemalte, reich ausgestattete Privathäuser von den sie umgebenden Aschen- und Gesteinsmassen befreit.
Zu den bekanntesten Häusern zählt die Casa del Poeta tragico. Der heutige Besucher der Ruinenstadt Pompeji kennt sie vor allem aufgrund des "Cave Canem"-Mosaiks (Vorsicht, bissiger Hund!) mit der Darstellung eines bellenden Hundes im Eingangsbereich. Ein weitaus aufwendigeres Mosaik mit der Szene einer Theaterprobe befand sich im wichtigsten Empfangsraum des Hauses. Ein Hinweis vielleicht auf den Besitzer, einen passionierten Theater- und Literaturliebhaber? Jahrhunderte später, 1834, verlegte der englische Autor Edward Bulwer-Lytton Teile seines Romanes "The last days of Pompeii" in genau dieses Haus. Das Liebesdrama um Glaucus und die schöne Ione nimmt hier seinen Lauf. In der Leipziger Ausstellung werden sowohl eine Nachbildung des sogenannten Theater-Mosaiks, als auch die englischen und deutschen Erstausgaben des Bulwer-Lytton-Bestsellers und eine der zahlreichen, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstandenen filmischen Rezeptionen dieses Romanes zu sehen sein.
Die Casa del Poeta tragico dient den Leipziger Ausstellungsmachern als Fallbeispiel: zusätzlich zur archäologischen Aufarbeitung soll der populärwissenschaftliche, künstlerische und touristische Umgang mit diesem Haus und der pompejanischen Wohnkultur in verschiedenen Zeiten dokumentiert und reflektiert werden. "Offenkundige Bezüge zwischen Antike und Moderne können den Besuchern auch einen neuen Blick auf ihre eigenen Wohnwelten eröffnen", erläutern die Leipziger Archäologen das gemeinsam mit Studenten verwirklichte Ausstellungskonzept. Zudem möchten sie "durch Rekonstruktionen in ganz unterschiedlichen Medien einen Eindruck der methodischen Vielfalt vermitteln, mit der sich die Klassische Archäologie um die Wiederbelebung kultureller Kontexte bemüht".
Höhepunkte der Ausstellung sind zweifelsohne die detailgenau und ästhetisch sehr anspruchsvoll erstellten Modelle der Casa del Poeta tragico von Nicholas Wood. Sie werden unter anderem ergänzt und erläutert durch Aquarelle mit Detailansichten, Schnittzeichnungen sowie Arbeitsskizzen und einen Bauplan, der von dem visionären Projekt kündigt, das Haus des tragischen Poeten in realer Größe wiedererstehen zu lassen. Wie der Rundgang durch dieses Haus auf den antiken Besucher gewirkt haben könnte, das entwirft Gaetano Capasso aus Neapel in einer Computeranimation. Der italienische Ingenieur zählt mit seiner 1983 gegründeten Firma CAPWARE zu den Pionieren auf dem Gebiet animierter Computermodelle und virtueller Rekonstruktionen pompejanischer Wohnhäuser. Seine Arbeiten bestechen vor allem durch ihre differenzierte Farblichkeit auf der Basis von Aquarellzeichnungen. Der Betrachter kann so aus verschiedenen Blickwinkeln und in unterschiedlichen Beleuchtungszuständen die Casa del Poeta tragico erleben. Welche Unterhaltungen die Menschen um 79 n. Chr. dort geführt haben könnten, das zeigt das Video "Julia in Urbe Pompeiis" in lateinischer Sprache. Den Vergleich zum aktuellen Zustand des Hauses zieht eine Videodokumentation, die sich auch mit dem drängenden Problem des Verfalls der Vesuvstädte auseinandersetzt. Gänzlich vernachlässigt wird dieses beispielsweise bei der Gestaltung von Souvenirs. Auch dafür lieferte das Haus des tragischen Dichters seit dem 19. Jahrhundert Vorlagen wie beispielsweise der Nachdruck des "Cave Canem"-Motives auf modernen Fliesen veranschaulicht. Der heutige Pompeji-Besucher kann in Leipzig seine vom Golf von Neapel nach Hause getragenen Erinnerungen direkt vergleichen mit jüngst ausgegrabenen Originalfragmenten antiker Wanddekoration des 4. pompejanischen Stils und originalen Ausstattungsstücken aus pompejanischen Häusern, die sich in der Leipziger Antikensammlung befinden. Ein Blick auf die dreidimensionalen Nachbildungen von Nicholas Wood und die begehbaren Räume von Gaetano Capasso zeigt auch hier, wie eng sich deren Arbeiten am Original orientieren.
Die Sonderausstellung "POMPEJI WIEDERBELEBT! Entdeckung, Nachleben und Rekonstruktion eines antiken Wohnhauses" ist im Antikenmuseum der Universität Leipzig von 19.6. bis 31. 8. 2001 zu sehen.