Resafa - Pilger und Händler in der syrischen Wüste

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SyrienSpätantike & FrühmittelalterKult & ReligionHandel

"Endlich", denkt Ibn Yakub, als er die Stadtmauern von Resafa erblickt. Hell leuchtet ihm die Stadt entgegen, die Bauten aus Gips und Alabaster heben sich deutlich vom Braun der Wüste ab, nicht zu Unrecht besitzt Resafa den Beinamen "weiße Stadt". Die knappe Tagesreise vom Euphrat nach Süden hatte den Händler ausgedörrt, er lechzte nach Wasser. "Wie kann man nur mitten in der Wüste fernab von jedem Fluß eine Stadt für so viele Leute errichten?", ging ihm durch den Kopf.

Resafa konnte im 7. Jh. schon auf eine lange Tradition zurückblicken. Die Identität des arabischen Resafa mit dem "Rasappa" in assyrischen Keilschrifttexten des 9. Jhs. v. Chr. und dem Rezeph des Alten Testaments (2. Könige 19:12 und Isaias 36:12) ist allerdings unbewiesen. Die ältesten archäologisch nachgewiesenen Spuren stammen von einem römischen Militärstützpunkt aus dem 1. Jh. n. Chr. Entscheidend für die Stadtentwicklung in der Spätantike wirkte die Hinrichtung eines hier stationierten Offiziers namens Sergius während der letzten Christenverfolgung um 300 n. Chr. An seinem Grab entwickelte sich ein intensiver Märtyrerkult, in dieser Zeit hieß die Stadt nach ihm auch Sergiopolis. Ab dem 5. Jh. ist sie zudem noch Bischofssitz, seit 636 n. Chr. steht die Stadt unter islamischer Herrschaft.

Aber es waren vor allem Händler wie Ibn Yakub, welche die Stadt am Leben erhielten. Mehrere Karawanenstraßen schnitten sich an diesem Punkt in der syrischen Wüste. Vorbei an den Ruinen des Militärstützpunktes der Ghassaniden, die als arabisches Geschlecht hier die Grenzverteidigung des byzantinischen Reiches besorgten, trottet die Karawane durch das Nordtor. Die drei Meter dicken Mauern umgeben eine Fläche von 21 ha in Form eines unregelmäßigen Rechtecks.

Die Mauern werden von dem Schriftsteller Prokop Kaiser Justinian zugewiesen (de aed. II 9,3-8). Dieser schreibt aber vor allem zum Ruhme seines Herrn, seine Zuweisungen von Bautätigkeiten an Justinian erscheinen oft wenig glaubwürdig. Die Stadtmauern werden von Teilen der Forschung in vorjustinianische Zeit datiert.

Der Weg führt die Karawane über eine von Säulen gesäumte Straße an der ersten der vier großen christlichen Kirchen der Stadt vorbei. Von außen ein prächtiger Zentralbau, sieht man erst im Innern, daß es sich hier um eine für Syrien typische Mischform mit Elementen einer Pfeilerbasilika handelt.

Vermutlich am Anfang des 6. Jhs. errichtet, fiel die Kirche später einem Erdbeben zu Opfer. In ihrer Ruine entstand danach eine kleine Notkirche.

Nach ungefähr 100 Metern gelangt die Karawane zum Chan, dem Handelszentrum der Stadt. Durch ein Tor treten die Händler in einen Hof, der von Gebäuden mit Lager- und Geschäftsräumen und Fremdenzimmern umschlossen ist. Jetzt müssen die Waren abgeladen und die Tiere versorgt werden, auch die Händler können ihren Durst löschen. An Wasser ist kein Mangel in der Stadt; im Winter verwandelt sich ein trockener Wadi westlich der Stadt in einen Fluß, das Wasser wird aufgestaut und in drei große Zisternen in der Südwestecke geleitet. Diese besitzen ein Fassungsvermögen von mehr als 20.000 m³ und konnten in der Trockenzeit 6.000 Menschen pro Tag versorgen. Damit nicht genug, sind über das Stadtgebiet noch viele flaschenförmige Kleinzisternen verteilt.

Die leiblichen Bedürfnisse waren gestillt, jetzt beschließt Ibn Yakub auch die Seele zu erfrischen und sein Abendgebet in der Moschee zu verrichten. Der Weg dorthin führt ihn an einer weteren Kirche vorbei, der Basilika B. Diese dreischiffige Basilika belegt mit zahlreichen Anbauten eine Fläche von 58 x 34 m. Eine Bauinschrift nennt als ihr Erbauungsdatum das Jahr 518 n. Chr. Früher befand sich hier das Zentrum der Verehrung der Reliquien der Hl. Sergius und Bacchus, doch heute liegt die Kirche wie tot da. Die Ursache liegt darin, daß nach einer schweren Beschädigung durch ein Erdbeben Teile der Kirche zum Aufbau der Moschee verwendet wurden

Die steinerne Kirche ersetzte eine ältere, die noch rein aus Lehmziegeln erbaut war. Hier befand sich ursprünglich das erste Martyrion des Hl. Sergios, in das sein Leichnam aus der Nekropole außerhalb der Mauern verlegt worden ist. Bei Ausgrabungen unter der Basilika B wurden Bruchsteinfundamente mit Lehmziegelmauern gefunden, von denen eine durch Münzfunde in die Zeit nach 425 n. Chr. datiert ist. Diese stellt vermutlich ein Überbleibsel dieses ersten Martyrions dar.

Ibn Yakub beschließt, einen kurzen Blick in die Kirchenruine zu werfen. Die Mitte des Kirchenschiffs wird beherrscht durch den Ambo, eine kleine Plattform, auf der die liturgischen Lesungen stattfinden.

Ein reich ausgestatteter Raum mit drei Apsiden nördlich der Apsis beherbergte wahrscheinlich ursprünglich den Leichnam des Hl. Sergius, ein weiterer Reliquienschrein in einem benachbarten Raum beinhaltete vermutlich Teile der Gebeine des unweit begrabenenen Hl. Bacchus.

Schließlich gelangt unser Händler zu der Moschee. Diese ist Teil des Hofes der großen Basilika des Heiligen Kreuzes, in dem sich die Pilger zum Grab des Hl. Sergios versammeln. Ungefähr die Hälfte des Hofes hat man abgetrennt und darauf eine dreischiffige Gebetshalle mit zwei Gebetsnischen und einer Gebetskanzel errichtet.

Im frühen 8. Jh. wurde an die Moschee im Westen eine Ladenpassage nach Art eines orientalischen Suks angebaut. Die doppelgeschossigen Lehmziegelhäuser besaßen an ihrer Außenseite jeweils einen gemauerten Verkaufstisch. Später sind sie auch mit Innenhöfen versehen worden. Hier wurde nicht nur Handel betrieben, es sind auch verschiedene Handwerkstätigkeiten wie Schmieden, Färben und Metallguß nachgewiesen.

Durch eine der beiden Durchgänge zwischen den religiösen Zentren beobachtet Ibn Yakub die Pilger im benachbarten Hof der Basilika. Durch die in der islamischen Leitkultur verankerte Toleranz gegenüber den anderen "Religionen des Buches" sind sie in ihrer Kultausübung ungehindert. Es sind zwar weniger Pilger als früher, aber dennoch ist das Heiligtum gut besucht. Vom Hof gelangen die Pilger in einen nördlich an die Apsis der Basilika anschließenden Annexraum, wo sich der mit einem Marmorbaldachin überdachte Sarkophag mit den Gebeinen des hl. Sergios befindet. In diesem durch ein Eisengitter vom Kirchenschiff abgetrenntem Raum regeln Schranken den Pilgerstrom. Die das Heiligtum beaufsichtigenden Mönche schöpfen mit kleinen Glasfläschchen Öl aus einem Marmorbecken, die sie an die Pilger verteilen. Diese gießen das Öl durch eine Öffnung im Deckel des Reliquienschreines und fangen es an einer Auslaßöffnung an der Unterseite wieder auf. Durch die Berührung mit den Reliquien bekommt das Öl heilbringende Wirkung.

Zeugnisse der Pilger wurden bei Ausgrabungen in Form von Scherben der Glasflaschen, Graffiti an den Wänden des Vorraums und Votivgaben in Form von Kupfermünzen und billigem Schmuck gefunden. Die Form des letzteren zeigt auch, aus welcher Klientel sich die Pilgergruppen vor allem zusammensetzen: es sind vor allem die Nomaden der umgebenden Wüste, wo die dortige Bevölkerung heute noch ähnlichen Schmuck trägt.

Die Basilika ist ein großer verschachtelter Baukomplex mit einer komplizierten Geschichte, erbaut wurde sie laut einer Inschrift im Jahr 559. Die eigentliche Kirche ist eine dreischiffige Pfeilerbasilika von 42 x 34 m Größe. Um sie herum liegen zahlreiche Nebenräume, die liturgischen Zwecken oder der Unterbringung der Mönche dienen; in einem der Gebäude wohnt wahrscheinlich der Bischof, dem diese Basilika seit dem 6. oder 8. Jh. als Kirche dient. Im Innern der Kirche befindet sich das größte bekannte syrische Bema, eine Plattform, auf der ähnlich wie auf dem Ambo die Lesungen innerhalb der Liturgie stattfinden. Allerdings bietet das Bema Sitzplätze für 24 Kleriker und den Bischof, außerdem stehen hier ein Altar und Schränke für liturgische Geräte. Ein steinerner Baldachin überspannt die Plattform, die mit zwischen Säulen gespannten Vorhängen vom Rest des Kirchenschiffs abgetrennt werden kann. Analog zu den Sitzmöglichkeiten auf der Bema sind auch in die Apsis halbkreisförmige Priesterbänke und ein erhöhter Bischofsthron eingebaut.

In der Folgezeit schwand die Pracht des spätantiken Resafa allmählich. Einen kurzen Höhepunkt erlebte es noch während der Regierungszeit des Kalifen Hisham (724-743), als dieser die Stadt auf seiner Flucht vor der Pest und den Wanzen in Damaskus vorübergehend als Residenz auserkor. Seinen Lehmziegelpalast von ca. 70 m Seitenlänge errichtete er südlich außerhalb der Stadtmauern.
Verheerend wirkte schließlich ein Erdbeben im 8. Jh., das einen Großteil der Stadt zerstörte. Von den Kirchen wurde lediglich die Basilika des Heiligen Kreuzes - heute wird sie Basilika A genannt - wieder aufgebaut. Bei dieser rächte sich aber eine unglückliche Standortwahl: man hatte sie direkt auf eine Doline gesetzt, die unter dem Gewicht der Kirche irgendwann einbrach und Südseite wie Apsis teilweise zum Einsturz brachte. Fortan waren permanente Sicherungs- und Reparaturmaßnahmen an der Kirche notwendig, die schlußendlich in einem Korsett aus Stützmauern gipfelten. Der Innenhof verschwand allmählich unter den bienenkorbförmigen Lehmhütten, welche die ortsübliche Form der Wohnbebauung darstellten. Sie haben ihre Spuren in Form einer Kraterlandschaft hinterlassen, die das heutige Stadtgebiet flächig überdeckt.

Das Ende von Resafa wurde von dem Mongoleneinfall von 1247 eingeläutet, der den Handel und damit auch die Lebensgrundlage der Stadt weitestgehend zum Erliegen brachte. Ende des 13. Jhs. wird Resafa zum letzten mal in Schriftquellen erwähnt. Auf ein marginales Weiterleben in den Ruinen weisen geringe Bauspuren in der Folgezeit hin, u. a. eine notdürftige Moschee.
Von dem Mongoleneinfall zeugt möglicherweise ein einmaliger Versteckfund in einem am Rande des Hofs der Basilika A errichteten Gebäude. Hier fand sich ein Silberschatz aus mehreren Gefäßen, die wahrscheinlich die letzte liturgische Ausstattung der Kirche darstellten.Neben einer Schale, einer Patene und zwei Kelchen ist ein Wappenpokal besonders bemerkenswert. Man konnte diesen anhand seiner Wappen sogar einem Besitzer zuordnen, nämlich Raoul I., Sire de Couzy. Dieser Abkömmling einer französischen Adelsfamilie starb während des dritten Kreuzzugs 1191 in Akkon. Eine Weihinschrift auf dem Stück nennt aber eine Frau mit arabischem Namen, die den Pokal der Kirche des hl. Sergios gestiftet hat. Die Geschichte dieses Fundstücks ist symptomatisch für den Abstieg Resafas von einem Prunkstück des Morgenlandes über ein unbedeutendes Regionalzentrum zu einem Haufen vergessener Ruinen im Wüstensand.
An der Wiederentdeckung Resafas haben vor allem deutsche Archäologen ihren Anteil. Seit 1952 finden hier von ihnen geleitete Ausgrabungen statt, während denen die hier beschriebenen Gebäude erforscht wurden und so allmählich die ehemalige Bedeutung dieses Ortes wieder in das Bewußtsein geholt wurde.

Literatur:

  • G. Brands, Martyrion und Bischofskirche. Anmerkungen zur Architektur und Bauornamentik des Zentralbaus von Rusafa. In: Akten des 12. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie (Münster 1995) 590-97.
  • B. Brenk, Der Kultort, seine Zugänglichkeit und seine Besucher. In: Akten des 12. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie (Münster 1995) 69-122.
  • W. Brinker, Zur Wasserversorgung von Resafa-Sergiupolis. Damaszener Mitteilungen 5, 1991, 119-146.
  • W. Karnapp, Die Stadtmauer von Resafa in Syrien (Berlin 1976).
  • W. Karnapp, Deutsche Grabungen und Forschungen in der Ruinenstadt Resafa. Antike Welt 8, 1977, Nr. 4, 17-30.
  • J. Kollwitz, Die Grabungen in Resafa. In: Neue deutsche Ausgrabungen im Mittelmeergebiet und im Vorderen Orient (Berlin 1959) 45-70.
  • M. Konrad, Flavische und spätantike Bebauung unter der Basilika B von Resafa-Sergiupolis. Damaszener Mitteilungen 6, 1992, 313-402.
  • M. Mackensen, Eine befestigte spätantike Anlage vor den Stadtmauern von Resafa: Ausgrabungen und spätantike Kleinfunde eines Surveys im Umland von Resafa-Sergiupolis (Mainz 1984).
  • D. Sack, Die Große Moschee von Resafa - Rusafat Hisam (Mainz 1996).
  • Th. Ulbert, Die Basilika des Heiligen Kreuzes in Resafa-Sergiupolis (Mainz 1986).
  • Th. Ulbert, Der kreuzfahrerzeitliche Silberschatz aus Resafa-Sergiupolis (Mainz 1990).