Häuptlingsgräber der Aunjetitzer Kultur (2200 - 1800 BC)
Die bekanntesten Häuptlingsgräber der Aunjetitzer Kultur sind mit Sicherheit die Gräber von Leubingen, Kr. Sömmerda in Thüringen (3892 ± 10 Jahre vor heute) und von Helmsdorf, Kr. Mansfelder Land in Sachsen-Anhalt (3645 ± 60 Jahre vor heute). Am Beispiel von Leubingen wird deutlich, wie beeindruckend diese Grabanlagen wirken: Die zeltförmige, hölzerne Grabkammer war mit Schilf bedeckt und mit Gips verfugt. Um die Grabkammer zu schützen, wurde sie mit einer mächtigen Steinpackung und zusätzlich mit Erde bedeckt. Das Hügelgrab hatte eine Höhe von ca. 8,5 m und einen Durchmesser von ca. 34 m.
Das Innere der Grabkammer barg eine Doppelbestattung, deren Beigaben dieses eindrucksvolle Bild unterstreichen: eine Stabdolchklinge, zwei Knickwandmeißeln, zwei Randleistenmeißeln, drei Dolchklingen, zwei Randleistenbeile, ein Schuhleistenkeil aus Serpentin, ein Wetzstein, ein goldener Armring, zwei goldene Ösenkopfnadeln, ein goldenes Spiralröllchen, zwei goldene Noppenringe und letztlich noch ein großes Grabgefäß sowie weitere Keramikbeigaben.
Gerade ihre reichen Goldbeigaben und ihr außergewöhnlicher Grabbau setzen diese Gräber von den restlichen Bestattungen ab. Die beiden Grabhügel sind im Verbreitungsgebiet der Aunjetitzer Kultur jedoch lange nicht die Einzigen ihrer Art. Allein in Mitteldeutschland sind zehn weitere Häuptlingsgräber bekannt,unter anderen die beiden Grabhügel von Dieskau, Saalkreis (Sachsen-Anhalt) oder das Hügelgrab von Nienstedt, Kr. Sangershausen (Sachsen-Anhalt). Bei Leki Male in Polen wurde eine Hügelgrabnekropole mit mindestens elf Grabhügeln angelegt, von denen bisher nur 6 (Hügel I bis VI) ergraben und ausgewertet wurden; auch der Grabhügel von Szczepankowice wird als Häuptlingsgrab gewertet. Insgesamt sind neben den Bestattungen von Leubingen und Helmsdorf mindestens 17 weitere Häuptlingsgräber im Verbreitungsgebiet der Aunjetitzer Kultur bekannt.
Trotz der großen Anzahl an Befunden ist eine allgemeine Beschreibung und Charakterisierung der Häuptlingsgräber nicht leicht. Ein großer Teil der Gräber wurde nur teilweise ausgegraben, war gestört oder sehr schlecht erhalten. Viele, darunter auch die Gräber von Leubingen und Helmsdorf wurden Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts ergraben. Teile der Beigaben, wie z.B. das große Grabgefäß von Helmsdorf sind verschollen. Trotz der relativ schlechten Quellenqualität gibt es einige Merkmale, die diese Gräbergruppe beschreiben.
Bei der Beschreibung muß man jedoch strikt zwischen den Gräbern Mitteldeutschlands und den Gräbern Polens unterscheiden: In Polen sind, mit der Ausnahme von Szczepankowice, nur die Gräber der Nekropole Leki Male bekannt, während in Mitteldeutschland die Hügelgräber nicht in einer Gräbergruppe errichtet wurden. Die mitteldeutschen Befunde haben fast alle einen direkten Bezug zum Neolithikum. Sie wurden auf älteren, steinzeitlichen Grabhügeln errichtet und/oder mit einem neolithischen Steingerät (Steinhammer oder Schuhleistenkeil) ausgestattet. Die Hügelgräber in Leki Male wurden für weitere Nachbestattungen genutzt, die ähnlich reiche Beigaben aufwiesen, wie die eigentliche Bestattung im Zentrum des Hügels. Nachbestattungen sind auch in den mitteldeutschen Befunden bekannt, lassen sich aber eher mit den Normalbestattungen der Aunjetitzer Kultur vergleichen. Ein weiterer Zusammenhang mit dem Neolithikum läßt sich an der Grabform der mitteldeutschen Bestattungsanlagen nachvollziehen. Ähnlich wie bei den schnurkeramischen Grabkammern wurde eine zeltförmige Holzkonstruktion errichtet, die darüber hinaus mit Schilf bedeckt wurde. Eine dicke Steinpackung und eine Erdschüttung schützten das Grab. In Polen wurden für die Zentralbestattung verschiedenartige Grabgruben eingetieft, die von einem Steinwall umgeben wurden. Darüber wurde der eigentliche Hügel aus Erde errichtet. Ein einheitliches Beigabenmuster ist in keinem der Gebiete bekannt. Auffällig ist jedoch die große Anzahl der Metallbeigaben und die Beigabe eines sehr großen Grabgefäßes. Die Beigabe von Beilen des Typs Lanquaid II, Kreuzbalkennadeln, Lockenringe, Ringe mit Stollen- und Stempelenden sowie metallgeschäfteten Stabdolchen zeichnen die Gräber als Besonderheit aus. Diese Funde sind in seltenen Fällen aber auch in anderen Zusammenhängen, z.B. in Hortfunden, bekannt. Allen gemeinsam ist die direkte Nähe zu Verkehrs- bzw. Handelswegen. Ein Bezug zu einer nahegelegenen, befestigten Höhensiedlung ist nicht gänzlich gesichert.
Nach dieser Beschreibung fällt auf, daß die mitteldeutschen Häuptlingsgräber eng mit dem Neolithikum verbunden sind. Durch den traditionellen Grabbau veranschaulichen sie in direkter Weise die Vermittlung traditioneller Werte durch den Verstorbenen. Er beruft sich offenbar auf eine lange Abstammungslinie, die bis ins Neolithikum hineinreicht. Der Restbevölkerung, die in nicht-neolithischer Weise bestattet wurde, wurden diese Abstammungsrechte scheinbar abgesprochen. Die enorme Größe der Grabhügel, die reichen Beigaben und der direkte Bezug zu Handelswegen sind nur Beispiele, die einen politischen und wirtschaftlichen Machtanspuch des in ihnen Bestatteten veranschaulichen. Zudem scheint die Vermittlung traditioneller Werte und traditionellen Wissens diesen Machtanspruch zu legitimieren und den Verstorbenen als Häuptling auszuzeichnen. Insofern können die Häuptlingsgräber, aber auch die neolithische Steinaxtbeigabe, als Materialisation der neolithischen Idee oder Ideologie innerhalb der Aunjetitzer Gesellschaft angesehen werden. Zusätzlich nimmt diese, belegt durch die Metallbeigaben, neue Elemente, z.B. die Idee der intensiven Metallurgie, in sich auf. Daß bestimmte Bereiche, vor allem der Güteraustausch, durch den Häuptling und eventuell seiner Gefolgschaft kontrolliert wurden, dokumentiert die Errichtung der Grabanlagen in direktem Bezug zu Handelswegen. Um weitere Aussagen zur Aunjetitzer Gesellschaft treffen zu können, müßte das Gesamtgefüge der Aunjetitzer Kultur untersucht werden.
Diese Ergebnisse zeigen jedoch, daß die Betrachtung der herausragenden Bestattungen unter dem Blickwinkel reicher Beigabenausstattung und von der Norm abweichender Grabbauweise zu eng gefaßt ist und eine Öffnung zu weiterführenden Interpretationen führen kann.
Es soll jedoch nochmals darauf hingewiesen werden, das durch die ausschließliche Bearbeitung der 'Häuptlingsgräber' nicht die gesamtgesellschaftliche Organisation der Aunjetitzer Kultur dargestellt werden kann. Hierzu wäre eine gesamthafte Untersuchung der Aunjetitzer Funde und Befunde vorzunehmen.
Literatur
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[Dieses Buch bei Amazon.de bestellen] - Feustel, R., Ullrich, H. (1965): Totenhütten der neolithischen Walternienburger Gruppe. Alt-Thüringen 7, 1965, 105-202.
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