Bislang sei das Heiligtum insbesondere als Kultplatz für den vor allem von Soldaten verehrten Gott Iuppiter Dolichenus bekannt gewesen. Sein Kult war im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus im gesamten Römischen Reich verbreitet.„Der erhaltene Teil des Reliefs aus späthethitischer Zeit zeigt eine Göttin, deren Gestalt an zeitgleiche Darstellungen der Kubaba erinnert, deren Name aber noch unbekannt ist", führte der Archäologe Dr. Michael Blömer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik" der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) aus. Bei der hieroglyphischen Inschrift auf der Rückseite handelt es sich nach erster Einschätzung der Forscher um die Weihinschrift eines Herrschers oder hochrangigen Beamten. Namentlich genannt wird zudem die Gottheit Sarruma, der Sohn des im 2. und frühen 1. Jt. v. Chr. in Anatolien oft verehrten Wettergottes Tesup. „Der Fund auf dem Gipfel des 1.200 Meter hohen Berges Dülük Baba Tepesi sorgte für viel Begeisterung im Team", berichtete Prof. Dr. Engelbert Winter, der Leiter der Forschungsstelle Asia Minor, zum Ende der Grabungssaison am gestrigen Donnerstag in Münster. „Das Relief liefert wichtige neue Hinweise zur Frühgeschichte der Tempelanlage und belegt die bisher umstrittene Bedeutung des religionsgeschichtlich bedeutenden Platzes schon im 9. und 8. Jahrhundert vor Christus."
Rätsel hingegen gibt ein mehrfach gefaltetes Bronzeblech aus der Blütezeit des Heiligtums auf, unter der Herrschaft der Römer. Die auf das Blech geschriebene Weihung für den berühmten Gott auf dem Stier bezeichnet seine Heimat als Ort, „wo das Eisen geboren ist". Prof. Dr. Winter: „Der genauen Bedeutung dieser rätselhaften Wendung auf die Spur zu kommen, ist eine der zahlreichen nun anstehenden Aufgaben." Die Bezeichnung sei bislang nur aus dem Westen des Römischen Reiches bekannt gewesen. „Ein einfacher Anhänger des Gottes muss die Inschrift verfasst haben. Zahlreiche Fehler zeugen davon, wie wenig er mit der lateinischen Sprache vertraut war", so der Grabungsleiter. Auch andere griechische und lateinische Inschriften, die die Archäologen mit Hilfe von 25 türkischen Grabungsarbeitern im Heiligtumsbezirk fanden, geben nach den Worten des Wissenschaftlers einen Eindruck „von der Schar der Gläubigen, die in das Heiligtum strömten, um den Soldatengott zu verehren". Der weithin sichtbare Berggipfel mit dem Heiligtum stellte damit ein religiöses Zentrum dar, „das im Laufe der Zeit für ganz unterschiedliche Menschen und Religionen von Bedeutung war", fasst Prof. Dr. Winter ein wichtiges Ergebnis der gut zweimonatigen Feldarbeit zusammen.
Bedeutsame Funde machte das Grabungsteam auch in den Ruinen des mittelalterlichen Klosters Mar Salomon, die das internationale Team bereits im vergangenen Jahr entdeckt hatte. Das Kloster wurde nach dem Untergang des Iuppiter Dolichenus-Kultes auf dem Boden des einstigen heidnischen Heiligtums gegründet und entwickelte sich zwischen dem frühen 9. und 12. Jahrhundert zu einem wichtigen christlichen Zentrum der Region. Auch aus dieser Epoche konnten mehrere Inschriften in syrischer Sprache geborgen werden, die vor allem intensive bauliche Aktivitäten bezeugen. Den Wissenschaftlern gelang es in diesem Sommer zudem, die Backstube des Klosters, Reste der Möbel, zahlreiche Geräte aus Eisen und Bronze, einen großen christlichen Brotstempel sowie eine Handmühle freizulegen. Eine Katastrophe für die Klostergemeinschaft stellte sich als Glücksfall für die Forscher heraus, wie Dr. Blömer erläutert: „Offenbar wurden die Bewohner von einem Feuer überrascht und ließen die Ausstattung in der Eile zurück."
Die Forschungsstelle Asia Minor der WWU gräbt unter der Leitung von Prof. Winter seit 2001 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Hauptheiligtum des Gottes Iupiter Dolichenus. Im vergangenen Jahr legten sie Fundamente sowohl des archaischen wie des römischen Heiligtums, ebenso des mittelalterlichen Klosters Mar Salomon frei. Das Exzellenzcluster-Projekt C9 „Konkurrenz und Identität in polytheistischen Gesellschaften des antiken Kleinasien – Lokale Kulte zwischen Abgrenzung und Integration" ist mit dem Grabungsprojekt vernetzt. Schwerpunkt ist die Entwicklung von Lokalkulten zu Reichsreligionen.