Neudatierung von Höhlenmalereien: Spanische Steinzeitkunst älter als gedacht

Die paläolithischen Höhlenmalerien in der spanischen Höhle El Castillo sind mindestens 40.800 Jahre alt und damit die ältesten derartigen Kunstwerke in Europa. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Alter europäischer Höhlenbilder mit Hilfe der Uran-Thorium-Methode genauer als bisher zu bestimmen.

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Handabdrücke
Stammen diese Handabdrücke von Neanderthalern? Eine neue Datierungstechnik zeigt, dass die Höhlenmalereien von El Castillo mindestens 40.800 Jahre alt sind. Foto: Pedro Saura

Das Team um Dr. Alistair Pike von der University of Bristol hat insgesamt 50 Steinzeit-Kunstwerke in 11 nordspanischen Höhlen neu datiert, darunter die zum UNESCO Weltkulturerbe zählenden Höhlen von Altamira, El Castillo und Tito Bustillo. Dies ist jedoch erst der Anfang: Ziel der Forscher ist es, das Alter hunderter von Höhlenmalereien in ganz Europa genau zu bestimmen. Dazu untersuchen sie nicht die Höhlenbilder selbst, sondern den Kalksinter, der sich auf diesen ablagerte, und bestimmen so ein Mindestalter der Kunstwerke. Kalksinter läßt sich mit Hilfe der Uran-Thorium-Methode datieren, die auf dem radioaktiven Zerfall von Uran-Isotopen beruht. Uran ist wasserlöslich, es kann mit dem Wasser in Höhlen gelangen und dort in Sinterablagerungen gebunden werden.

Anläßlich der gestern erfolgten Publikation der Untersuchungsergebnisse im Fachmagazin Science erklärte Dr. Pike das Vorgehen der Forscher: »Gravierungen und in vielen Fällen auch Malereien mangelt es an organischen Pigmenten oder Bindemitteln, die man zur Radiokarbondatierung verwenden könnte. Wo es verwendbares Material gibt, etwa bei Holzkohlepigmenten, können ohne die Kunstwerke zu zerstören nur kleinste Probenmengen genommen werden. Dadurch kommen Kontaminationseffekte stärker zum Tragen und man erhält ungenauere Ergebnisse. Wir haben daher stattdessen Uranisotope in den dünnen Kalkablagerungen gemessen, die sich auf den Oberflächen der Malereien und Gravierungen gebildet haben. Mit diesem als Uran-Thorium-Methode bekannten und in den Geowissenschaften häufig genutzten Verfahren hat man die Probleme der Radiokarbondatierung nicht.«

Der Datierungsexperte Dr. Dirk Hoffmann vom Nationalen Zentrum zur Erforschung der menschlichen Evolution (CENIEH) in Burgos, Spanien, sagte: »Der wichtigste Schritt war die Entwicklung eines Verfahrens, mit dem man auch kleinste Kalziumkarbonatablagerungen datieren kann, wie es bei größeren Stalaktiten bereits länger möglich ist. Inzwischen können wir Proben von gerade mal 10 Milligramm datieren - das entspricht etwa der Größe eines Reiskorns. Damit waren wir in der Lage, Proben von hunderten Malereien zu nehmen und nicht mehr auf Bilder beschränkt, die sich auf größeren Stalaktiten befinden - davon gibt es viel weniger.«

So konnten die Wissenschaftler ein großes keulenförmiges Symbol in der Höhle von Altamira jetzt auf ein Alter von mindestens 35.600 Jahren datieren. Der Beginn der Höhlenkunst in Altamira liegt also nicht nur 10.000 Jahre weiter in der Vergangenheit als bisher angenommen, es zeigt sich auch, dass die Höhle über einen Zeitraum von 20.000 Jahren immer wieder als Atelier genutzt wurde. Die Handabdrücke in der Höhle von El Castillo sind mit  mindestens 40.800 Jahren sogar noch älter. Der Beginn der Höhlenmalerei in Europa erfolgte also bis zu 10.000 Jahre früher als bisher allgemein angenommen. Dies könnte nun die Identität der Künstler in Frage stellen. Denn schien bislang klar, dass erst der anatomisch moderne Mensch sich derart künstlerisch betätigte, rückt mit der neuen Datierung auch der Neanderthaler als möglicher Steinzeit-Leonardo ins Blickfeld.

»Die frühesten Nachweise für die Anwesenheit anatomisch moderner Menschen in Nordspanien sind bis zu 41.500 Jahre alt, davor gab es hier nur Neanderthaler, « sagte Dr. Pike. »Unsere Ergebnisse zeigen, dass entweder die Malerei bereits bei seiner Ankunft in Europa zur kulturellen Aktivität des modernen Menschen zählte, oder er sie sehr bald danach entwickelte. Möglicherweise war es eine Reaktion auf die Konkurrenz durch den Neanderthaler - oder diese Kunst ist Neanderthaler-Kunst.« Das Aufkommen der Kunst wird als wichtiger Marker für die Evolution moderner Erkenntnis und symbolischen Verhaltens angesehen und könnte in Verbindung mit der Entwicklung der Sprache stehen.

»Wir haben Nachweise für frühen Symbolismus in Form durchbohrter Perlen, verzierter Eierschalen und Pigmente in Afrika, die 70 - 100.000 Jahre alt sind, aber es scheint, dass die ältesten Höhlenmalereien sich in Europa finden. Eine mögliche Erklärung dafür, dass sich diese Entwicklung hier vollzog, wäre die kulturelle Weiterentwicklung als Überlebensstrategie im Wettbewerb mit den Neanderthalern um Ressourcen. Andererseits könnten auch die Neanderthaler mit der Höhlenmalerei begonnen haben, bevor die modernen Menschen hier ankamen. Das wäre eine fantastische Entdeckung, denn es würde bedeuten, die Handabdrücke auf den Höhlenwänden stammten von Neanderthaler-Händen. Allerdings müssen wir mehr Beispiele datieren, um sagen zu können, ob das der Fall ist.«, so Pike weiter.

Dr. Pettitt, einer der Co-Autoren der in Science veröffentlichten Studie, sagte: »Bisher war unser Verständnis der Höhlenkunst bestenfalls skizzenhaft. Nun haben wir die Anfänge der europäischen Höhlenkunst um mehrere Tausend Jahre zurückdatiert, in die Zeit der letzten Neanderthaler und der frühesten Menschen in Europa. Die ältesten Bilder zeigen keine Tiere, was darauf hindeutet, dass die früheste Kunst nicht-figürlich war. Das könnte von außerordentlicher Bedeutung für die Frage sein, wie sich Kunst entwickelte.«

Probennahme für die Datierung
Probennahme an einem Kalksintervorhang für die Datierung der Höhlenkunst in der anthropomorphen Kammer der Tito Bustillo Höhle, Asturias. Foto: Rodrigo de Balbin Behrmann