Die evangelische St. Johanniskirche in Mainz, der sogenannte »Alte Dom«, wird seit Sommer 2013 bauhistorisch und archäologisch untersucht. Die jetzt feststehenden Ergebnisse der Bauforschung übertreffen alle Erwartungen: In der in den 1950er Jahren wiederaufgebauten Kirche haben sich große Teile eines frühmittelalterlichen Dombaus erhalten. Mehrere Gesteinsproben belegen, dass große Teile des untersuchten Mauerwerks der frühmittelalterlichen Domkirche aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. stammen. »Damit ist sie fast 250 Jahre älter als bisher angenommen und das bedeutendste noch weitgehend erhaltene Baudenkmal dieser Epoche nördlich der Alpen«, betonte Kulturministerin Vera Reiß.
Im Zuge der Bauforschungen, die das Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg unter Leitung von Marlene Kleiner und Prof. Dr. Matthias Untermann im Auftrag der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz ausführt, wurden in den vergangenen Monaten große Teile des historischen Mauerwerks der St. Johanniskirche untersucht. Restaurator Thomas Lutgen hat hierfür Holzkohleproben im Mauermörtel genommen, die das in Europa führende Klaus-Tschira-Archäometrie-Zentrum an der Universität Heidelberg mit der Radiokarbonmethode datieren konnte.
»Da aus dieser Zeit so gut wie keine baulichen Zeugnisse mehr existieren, sind die Ergebnisse der Forschungen an St. Johannis wirklich außergewöhnlich. Nun müssen wir anhand von Quellen – die auch selten sind – klären, wer der Bauherr gewesen sein könnte. Die Geschichte ist – und bleibt – wirklich eine sehr spannende und außergewöhnliche. St. Johannis nimmt eine überregional bedeutende Rolle in der Kirchengeschichte ein«, unterstrich Kulturministerin Vera Reiß.
St. Johannis wurde innerhalb eines großen spätantiken Bauwerks errichtet, dessen Mauerwerk zum Teil in den Neubau integriert wurde und daher heute noch bis zu zehn Meter hoch erhalten ist. Unter Erzbischof Hatto I. (891–913) wurde der Alte Mainzer Dom im Obergadenbereich des Langhauses teilweise repariert, was weitere Proben bestätigen. Ein zweiter Umbau im Frühmittelalter betraf die Rundfenster im östlichen Altarraum und ist um 980 datiert.
Die Grundstruktur des Alten Doms ist an der St. Johanniskirche heute noch deutlich ablesbar. Die dreischiffige Basilika mit vier – seit dem 19. Jahrhundert vermauerten – Langhausarkaden zeichnet sich durch ein im Westen gelegenes Querschiff aus, dessen Arme auch heute noch die Breite der Seitenschiffe aufgreifen. Das Laufniveau der ehemals doppelchörigen Anlage wurde im Lauf der Jahrhunderte mehrfach angehoben und lag im Frühmittelalter etwa 2,80 Meter unter dem derzeitigen Fußboden. Aus dieser Zeit hat sich trotz zahlreicher Umbauten eine große Zahl an Bauteilen bewahrt. In den heutigen Kellerräumen der Kirche sind noch frühmittelalterliche Arkadenpfeiler zu sehen, oberhalb der Arkaden reicht das Mauerwerk des Alten Doms bis unter das Dach. Auch im Bereich der Orgelempore – dem ehemaligen östlichen Altarraum – sind große Teile des frühmittelalterlichen Mauerwerks erhalten.
1036 zog das Domkapitel in den direkt östlich der St. Johanniskirche neugebauten Willigis-Dom. Der Alte Dom wurde zur Stiftskirche umgebaut. Ein weiterer großer Umbau betraf im 14. Jahrhundert den Westchor, der heute in seiner gotischen Form erhalten ist. Nach der Pro-fanierung im Zuge der Französischen Revolution wurde St. Johannis 1830 zur evangelischen Pfarrkirche.