Ötzi machte Brotzeit ...
Ein Kommentar zur aktuellen Rekonstruktion der Todesumstände der Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen
Endlich ist der Fall Ötzi gelöst. Da haben jetzt Heerscharen von hochrangigen Spezialisten aus allen Fachdisziplinen 20 Jahre lang geforscht und dabei lag die Antwort so nahe. Sie ist immer da gewesen, wir haben sie nur nicht gesehen. Der Ötzi war also auf einer Bergwanderung. Und als er den Gipfel erklommen hatte, machte er auf knapp 3.300 Meter Meeresspiegelhöhe ausgiebig Brotzeit. Es gab Äpfel, die in der Jungsteinzeit schon im Frühjahr reiften, Steinbockfleisch mit Fliegenflügeln und Körnern; damals eine beliebte Bergsteigernahrung.
Dann kam ein anderer Bergsteiger zufällig vorbei, jagte dem Ötzi einen Pfeil in den Rücken, zog dann den Pfeilschaft wieder aus der Wunde und ging seines Weges. Es waren eben harte Kerle in Steinzeit.
Damit sind alle Fragen beantwortet. Hundert Forscher waren sich auf dem zweiten Weltmumienkongress in Bozen einig, dass es nur so gelaufen sein kann.
Wer jetzt allerdings doch noch weiterdenken möchte, auch für den steht ein eben neu entwickeltes Szenario eines weiteren beteiligten Institutsleiters bereit: Der Mörder des Ötzi zog den Pfeilschaft deswegen aus der Wunde, weil er unerkannt bleiben wollte. Die Befiederung des Pfeiles hätte nämlich die Zugehörigkeit zu seinem Stamm und damit seine Identität verraten. Die Ausrüstung, vor allem das sehr kostbare Kupferbeil, ließ er zurück, da er im Tal nicht mit dem Beil des Getöteten gesehen werden wollte. Da bleibt in der Tat keine Luft mehr für Alternativen.
Mit derart stichhaltigen Argumenten ist natürlich auch eine mögliche Bestattung unter freiem Himmel vom Tisch. Zumal ja auch die professionelle Bergung der Gletschermumie mit Skistock und Eispickel bei laufender Kamera sicher zu den interessantesten archäologischen Ausgrabungen zählt, die jemals durchgeführt wurden. Übrigens sieht man auf den wenigen verbliebenen Bildern sehr deutlich, dass der Tote von einer großen Steinplatte, auf der er vorher in Seitenlage auf seinem linken Arm gelegen war, abgerutscht ist. Der Arm stand dabei nicht in die Luft, sondern der Kopf des Toten ruhte darauf. Auch direkt an der Mumie gibt es seltsame Steinsetzungen. Besonders deutlich zu sehen auf der Aufnahme mit den heutigen Extrembergsteigern Messner und Kammerlander, die offenbar die beiden eben zertretenen Birkenrindengefäße zu ihren Füßen nicht bemerken. Auch der rechtwinklig geformte Stock auf den sich Kammerlander lässig stützt, scheint Teil einer Rückentrage des Eismannes gewesen zu sein.
Aber wer will sich jetzt noch mit derlei Kleinigkeiten abgeben, wo doch der große Wurf gelungen ist. Legen wir den Fall Ötzi also zu den Akten. Nachdem die Bozener Mediziner mit der Entdeckung der Pfeilspitze im Rücken des Eismannes den Fall vor 10 Jahren wieder ins Rollen gebracht haben, ist es jetzt der Mageninhalt der Mumie, der diese überraschende Wende in einem der spannendsten Kriminalfälle der Vorgeschichte herbeigeführt hat.
(Alexander Binsteiner arbeitete unter Konrad Spindler als Geologe im Eismann-Projekt an der Universität Innsbruck.)