Irakisches Kulturerbe Bomben auf die Schätze von Babylon
Wenn Behnam Abu al-Suf, 67, dieser Tage im Staatsfernsehen erscheint, dann drehen sogar die zynisch gewordenen Iraker gelegentlich den Ton etwas lauter. Der weißhaarige alte Herr mit der sonoren Stimme ist nicht nur ein stattlicher Mann, der schon kraft seiner Erscheinung Hoffnung und Zuversicht verströmt. Abu al-Suf ist das personifizierte Selbstbewusstsein der gebildeten Stände im Zweistromland und der oberste Geschichtenerzähler Saddam Husseins.
Welch kleine Lichter, so versucht er seit Wochen seine Landsleute aufzurichten, seien doch die Invasoren, die heute von der Eroberung Bagdads träumten. "Uns Irakern wollen sie Zivilisation und Demokratie beibringen", sagt er beschwörend: "Uns, die wir auf den Helden von Gilgamesch zurückblicken! Uns, die wir als erstes Volk der Menschheit ein Parlament gewählt haben!"
Al-Suf, das unterscheidet ihn von den üblichen Einpeitschern der irakischen Propaganda, ist kein spröder Ideologe der Baath-Partei. Er schöpft souverän aus dem Füllhorn der fünftausendjährigen Historie Mesopotamiens und macht sie in saftigen Anekdoten lebendig alle hinführend auf ein einziges heilsgeschichtliches Ziel: die glorreiche Regentschaft Saddam Husseins, des "Sohnes von Nebukadnezar".
Schwermut befällt den studierten Archäologen, wenn er an seine Jahre am Trinity College in Cambridge zurückdenkt, wo er in den sechziger Jahren über "Die Anfänge der sumerischen Zivilisation" promovierte. Sir Max Mallowan war sein Doktorvater, der Ehemann Agatha Christies und weltberühmte Ausgräber der Sumererstadt Ur und der assyrischen Kapitalen Niniveh und Nimrud im Nordirak.
"Welcher Geist, welche Hochachtung vor unserer Geschichte bestimmte damals das Weltbild des Westens", sinniert er verbittert. "Und welches Übel hat nun Besitz ergriffen von unseren Feinden." Ein brutaler Kulturkampf sei hereingebrochen über das Zweistromland, sagt er ein Krieg, der ihn an die Mongolenstürme des ausgehenden Mittelalters erinnere.
Nicht die Rhetorik, wohl aber al-Sufs Sorge um das immens reiche Kulturerbe Iraks teilen auch europäische und amerikanische Altertumsforscher. Schon vor Ausbruch des Krieges hatte das "Archeological Institute of America" dem Pentagon eine Liste von 4000 gefährdeten Stätten im Irak vorgelegt und die Militärs beider Kriegsparteien an die Haager Konvention erinnert, die den "Schutz kultureller Stätten im Fall bewaffneter Auseinandersetzungen" vorschreibt. Washington hat die Konvention einst unterschrieben, doch im Gegensatz zum Irak bis heute nicht ratifiziert.
In einem dramatischen Appell verschärften die Wissenschaftler vergangene Woche ihre Warnung, diesmal auch an die Vereinten Nationen: Irreparable Schäden drohten durch die Bombardements, den Bodenkrieg und die zu befürchtenden Plünderungen in seinem Gefolge. "Krieg und Archäologie", so McGuire Gibson, Mesopotamienforscher an der Universität Chicago und Wortführer der Akademiker, "sind eine schlechte Kombination." Natürlich bewege auch ihn zunächst die Sorge um die humanitären Folgen des dritten Golf-Krieges, so Gibson. Hoch verletzlich sei das fragile Sozialgefüge des modernen Irak, von mehr als 20 Jahren Krieg und Sanktionsregime ausgezehrt seine Menschen.
Doch unvergleichlich sei auch die Dichte historischer Schätze an Euphrat und Tigris. Nur 15 Prozent des irakischen Staatsgebietes sind überhaupt archäologisch erfasst. Über etwa 10.000 Fundstellen führt die Antikenverwaltung in Bagdad Buch. Doch die tatsächliche Zahl, so Gibson, liegt wohl "in den Hunderttausenden". Vor allem die Westwüste, "klassisches Panzerland" in den Augen der Militärs, sei übersät von gänzlich unerforschten paleolithischen und frühneuzeitlichen Stätten.
Genau dort, berichtet Muajad Damardschi, bis 1998 Direktor der Antikenverwaltung und heute Berater des Kulturministers, seien vergangene Woche bereits erste Schäden aufgetreten. Amerikanische Panzereinheiten, so habe er telefonisch aus dem Südirak erfahren, hätten auf ihrem Vormarsch Richtung Nassirija die historische Pilgerroute von Nadschaf nach Mekka gekreuzt. In der Nähe von Tall al-Lahm habe die durch das schwere Gerät verursachte Vibration die Stützmauern eines antiken Kulttempels beschädigt.
In Zubair nahe der umkämpften Hafenstadt Umm Kasr seien Schüsse auf die Imam Ali-Moschee abgegeben worden. In Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit, einer ehemaligen Kreuzfahrerfestung, sei während eines Bombardements am vergangenen Montag das Museum "vollständig demoliert" worden.
Eimerweise haben Damardschis Mitarbeiter in den Tagen unmittelbar vor Kriegsbeginn auf den Dächern der 20 großen irakischen Museen weiße und blaue Farbe verpinselt in der Hoffnung, die Zielplaner des Pentagon und ihre Piloten seien mit dem Piktogramm der Stiftung Weltkulturerbe vertraut: ein Quadrat mit zwei Diagonalen und einem Dreieck darüber.
Doch Damardschi ist skeptisch: Schon seit Jahrzehnten, so behauptet er, vernachlässige die Weltöffentlichkeit das kulturelle Erbe des Irak, warum sollte gerade jetzt mit Einsicht zu rechnen sein. Nur ein einziges Denkmal aus dem Zweistromland ist als schützenswert aufgenommen worden die Partherstadt Hatra südlich von Mossul. Es sei kein Zufall, glaubt Damardschi, dass gerade diese Anlage gewürdigt wurde, die von römisch-hellenistischem, also abendländischem Einfluss in Mesopotamien zeuge. Anträge für islamische Stätten, wie etwa die große Moschee von Samarra mit dem berühmten Spiralminarett, hingegen würden systematisch verschleppt.
Auch Damardschis Chicagoer Kollege Gibson räumt Versäumnisse ein: Pläne, Unesco-Experten in den Irak zu schicken, um Bagdads Anträge zu prüfen und Schäden aus dem Zweiten Golfkrieg zu dokumentieren, seien regelmäßig am amerikanischen Veto im Uno-Sicherheitsrat gescheitert. Denkmalschutz und Kulturpolitik sind freilich auch im Irak selbst immer hochpolitische Disziplinen gewesen.
Wechselnde Regimes haben wechselnde Epochen der überreichen Kulturgeschichte des Landes protegiert je nachdem, welche Identität sie dem ethnisch, religiös und sprachlich zerrissenen Staatswesen verordnen wollten. Putschgeneral Karim al-Kassim etwa, der 1958 die Herrschaft der Haschemiten-Könige beendete, stellte die vorislamischen Traditionen der Sumerer, Akkadier und Babylonier in den Vordergrund. Seinen frommen Nachfolgern Abdel-Salam und Abdel-Rahman al-Aref lagen eher die Denkmäler des sunnitischen Islam am Herzen.
Erst der Größenwahn Saddam Husseins stellte paradoxerweise eine historisch annähernd korrekte Balance her. Saddam reichte es nicht, sich auf einzelne Überlieferungsstränge festzulegen er sieht sich als Krönung der irakischen Kulturgeschichte schlechthin. Präsidenten-Porträts werden ungeachtet aller Kriegsvorbereitungen schon seit Wochen im Saddam-Kulturzentrum gelagert, um am 28. April zur Feier des 66. Geburtstag des Präsidenten ausgestellt zu werden.
Sie zeigen ihn wahlweise in der Tracht des Sumererkönigs Hammurabi, des Babyloniers Nebukadnezar oder des Aijubidensultans Saladin. Vier riesige Saladin-Büsten schmücken auch eine der Residenzen Saddams im Bagdader Stadtteil Mansur. Das Zentralgebäude des Präsidentenpalastes, das am 21. März von amerikanischen Marschflugkörpern zerstört wurde, war der historisierende Nachbau eines babylonischen Tempels.
Eine segensreiche Auswirkung von Saddams Geschichts-Obsession, so räumen selbst westliche Archäologen ein, war hingegen der Aufbau der effizientesten Antikenverwaltung des Nahen Ostens, die bis Anfang der neunziger Jahre international anerkannte Arbeit leistete. 28000 Mitarbeiter beschäftigte die Behörde einst viele im Westen ausgebildete Archäologen sowie ein ganzes Heer von Wach- und Sicherheitsleuten.
Nach zwölf Jahren Sanktionsregime sind allerdings nur mehr Rudimente dieser Verwaltung vorhanden Experten befürchten deshalb, dass es wie schon nach dem Zweiten Golfkrieg auch in den kommenden Monaten zu massiven Plünderungen kommen wird. Tausende Artefakte aus dem Irak, vor allem Statuetten, Keilschrifttafeln und Zylinder-Siegel, sind seit 1991 auf den internationalen Märkten aufgetaucht. Fast wöchentlich berichten irakische Zeitungen bis heute von der Festnahme von Kunsträubern.
Beunruhigt reagiert die internationale Archäologengemeinde deshalb auf einen Vorstoß des "American Council for Cultural Policy", einer New Yorker Vereinigung von Museumsexperten und Kunstsammlern. Die Gruppe setzt sich laut einem Bericht des Wissenschaftsmagazins "Science" bei der amerikanischen Regierung für die Ablösung der Bagdader Antikenverwaltung und eine Aufweichung des irakischen Antiquitätengesetzes ein, das derzeit zu den strengsten der Welt gehört.
Es wäre das "absolut definitiv Dümmste", warnt John Russell, Archäologe am Massachusetts College of Art, nach dem Regimewechsel auch die irakische Antikenverwaltung zu zerschlagen. "Das Klügste wäre es, die Verwaltung zu fragen, was sie braucht und sicherzustellen, dass alle ihre Wünsche erfüllt werden."
Amerikas Archäologen, denen ihre eigene Regierung die Arbeit im Irak 1990 verboten hat, stünden jederzeit bereit, ihren irakischen Kollegen zu helfen, so McGuire Gibson.
Da unterschätzt er womöglich den Stolz der Iraker: Er weigere sich, über dieses Angebot auch nur zu diskutieren, sagt Muajad Damardschi, solange irakische Soldaten im Feld stünden. Und selbst wenn die Amerikaner den Krieg gewinnen sollten "auf meine Mitarbeit werden sie verzichten müssen".